Die Klugheit von Kindern und Katzen

Nach einem Sommer voller Waldbrände will die Binsenlandschaft auf der Bühne des E-Werks nicht so recht idyllisch wirken. Und wirklich wird das Gras im Laufe des Tanzabends „Non-upgraded existence“ ordentlich rauchen und später leuchten als stände es in Flammen. Doch davor geht es bei der Compagnie Nadine Gerspacher erst einmal sehr kultiviert vor. Mutter, Vater, zwei Töchter und ein Kater (Hedvig Edvall Bons, Vlad Ion, Camille Lejeune, Paula Niehoff, Julien Rossin) decken den Tisch für das Sonntagsmahl, die jüngere Tochter (Hedvig Edvall Bons) bekommt Zöpfe geflochten, sie schlüpft in die Jacke des Vaters und ahmt dessen Eigenheiten nach. Am Ende gibt es einen begütigenden Kuss auf die Stirn der Tochter. Der Kater Hector lässt sich bitten und spielt Verstecken mit der Familie. Dann klettert er auf den Tisch, um den sich mehrere Stühle gruppieren und stellt das Setting vor, während der Rest der Familie wie in einem Still einfriert: wir befinden uns in einem ganz gewöhnlichen Haus, in einer ganz gewöhnlichen Stadt, auch die Familie ist ganz gewöhnlich. Die Wohnung ist Schutz und ein Heim, erzählt er. Man könnte die Familie also glücklich nennen. Doch die Crux ist, dass das Private heute wieder sehr politisch ist. Weil das Private Ressourcen verbraucht. Es gibt Austern, erst einen Teller voll und dann ein ganzes Tablett. Aber – zumindest in Deutschland – steht nichts so sehr für Luxus, Überfluss und Völlerei wie Austern.
Allzu sinnlich muss man sich dieses Festmahl nicht vorstellen. Die Mutter stopft sich die Muscheln besinnungslos und verstörend in sich hinein. Es geht sichtlich nicht um die Austern, sondern um nicht befriedigte Lebenslust und -flucht sowie um Sehnsüchte. Der Titel jedoch knüpft eine Verbindung zu dem Wahn, dass es zum Glück das nächste Upgrade braucht, die Familie führt ein entfremdetes Leben, stellvertretend für uns. Entsprechend angespannt ist das Verhältnis zu ihrem Mann. Die beiden springen über den Tisch und wälzen sich über ihm, längst ist das Essen abgetragen. Es braucht eine Weile bis das Stück „Non-Upgraded Existence“ derart an Fahrt gewinnt. Vor allem am Anfang überwiegt das Theatralische das Tänzerische. Später jedoch sind die Figuren und ihre Konflikte so überdeutlich, dass sie alle Mehrdeutigkeiten ersticken. Oder im Falle, dass man in der jüngeren Tochter nicht ein Alter Ego von Greta Thunberg erkennt, bleibt deren messianischer Eifer, ihre Führungsrolle ziemlich enigmatisch. Da hätte die Dramaturgie ein Gleichgewicht schaffen können.
Tänzerisch jedoch ist das, was die Compagnie im Großen Saal zeigt, ziemlich mitreißend. Extrem dynamisch werden die Verhältnisse in der Familie verhandelt, insbesondere die Eltern nehmen ihre Beziehung geradezu sportlich: Abrollen, Springen und Abprallen, hinzu kommt der Tisch, der als Sparringpartner seinen Part einnimmt. Geradezu anrührend ist hingegen, wie der Kater die ältere Schwester, die angesichts der gesellschaftlichen und privaten Dystopien in eine Art Dornröschenschlaf verfällt, wieder zurück ins Leben bringt. Ihr Körper droht jeden Moment, in sich zusammenzufallen. Und doch ist es in dieser Choreografie eben die junge Generation, von der Hoffnung ausgeht. Am Ende bildet die Compagnie eine Art Pyramide, auf der die jüngste Tochter steht und die Geschicke aller dirigiert. Das ist dann ein bisschen zu viel an Idealisierung. Tänzerisch jedoch wird der Abend fraglos in Erinnerung bleiben.

Bildquellen

  • Non Upgraded Existence: ©Nicolas Clausen