Wer hören will, muss fühlen: Eine Ausstellung im Museum für Neue Kunst widmet sich dem Sound in der Kunst

Will man sich die Bedeutung eines Sinnes vergegenwärtigen, muss man sich vorstellen, wie es wäre ohne ihn auszukommen. Hören ist Kommunikation, Lebensfreude. Wir rufen uns im Notfall Warnungen zu, und flüstern Zärtliches. Es gibt Geräusche, die beruhigen, andere alarmieren uns. Im Museum für Neue Kunst Freiburg widmet sich nun eine Ausstellung dem Hören, genauer dem „Anders Hören“, denn die gut 30 Arbeiten sollen das Bewusstsein schärfen für akustische Signale und überhaupt will die Schau niemanden ausschließen.
Und so fühlt man auch erst einmal etwas, wenn man die Hände durch die Öffnungen steckt, die in „Ay-Os and Joe’s Soundbox“ eingelassen sind. Wer die Ketten anfasst, die neben anderen Dingen in dem Kubus liegen, hört sie möglichweise bevor sie wirklich zu klirren beginnen. Und bei Timo Kahlens Objekt „Zwei“, das wie ein großer Plüschball auf einem Sockel liegt, verbindet sich das beruhigende Gefühl Fell zu streicheln mit dem satten Schnurren einer Katze. Im Museum für Neue Kunst verfolgt man keine Thesen zum Hören, man zeigt stattdessen 30 Beispielwerke zeitgenössischer Kunst. Darunter befindet sich auch das „Klangkabinett“ Stefan Roszaks, das einen ganzen Raum einnimmt und nicht nur Kindern einen sehr spielerischen und niederschwelligen Zugang zum Thema ermöglicht. Viele der gezeigten Arbeiten sind keine ausgesprochenen Soundarbeiten, bei einigen gibt es noch nicht einmal etwas zu hören. Das hat den Vorteil, dass „Anders Hören“ nicht als Kakophonie das Museum für Neue Kunst überlagert. Mollton und Akustikschaumstoff sind nicht die dominierenden Materialien dieser Ausstellung, die durchaus auch Schauwert hat.
In Freiburg darf hier keinesfalls der Pionier einer interaktiven elektronischen Kunst Peter Vogel fehlen. Einige seiner Arbeiten aus der eigenen Sammlung, die auch eine Art Ausgangspunkt dieser Themenschau gebildet haben, werden hier bis Anfang September zu sehen sein und auf Bewegungen und Geräusche der Besucherinnen und Besucher reagieren. Doch auch Nevin Aladags Arbeit um ihre Performance „Raise of the Roof“, die auf der Biennale von Venedig 2017 stattfand, richtet sich an das Auge. Die beteiligten Performerinnen tanzen in dem dazugehörigen Video auf kleinen Sockeln zu stummen Songs, die über einen Kopfhörer eingespielt werden. Die abschließende Kupferplatte hat die Schritte ihrer hochhackigen Schuhe gespeichert. Und auch im Museum für Neue Kunst sind Titel wie „Drunk of Love“ oder „A Better Tomorrow“ nur durch die Aufdrucke auf den T-Shirts der Frauen präsent. Neben dem Video der stummen Performance sind drei der Kupferplatten in der Ausstellung zu sehen, die nach dem jeweiligen Song benannt sind.
Mehrere Arbeiten tragen Rechnung, dass Klang flüchtig ist. In Susan Hillers Videoarbeit „Lost and Found“ aus dem Jahr 2016 widmet sich die Konzeptkünstlerin 23 toten oder im Aussterben begriffene Sprachen. Die jeweiligen Sprecher erzählen, wie es ist einer Sprachminderheit anzugehören. Manche singen ein Lied, die letzte Bo-Sprechende erzählt, wie die Alten den Stamm auf ein Seebeben vorbereiteten. Die Tonbeispiele werden mit Grafiken der Schallwellen visualisiert. Ebenfalls mit einem Archiv arbeitet Sonja Baumer. Seit 2016 hat sie „26 Vogelstimmen“ gesammelt, von Arten, die seit den 1950er Jahren in Deutschland nicht mehr zu hören sind, weil sie ausgestorben sind oder durch sich verschlechternde Lebensbedingungen abgewandert sind. Auf eine Projektionswand wird der Gesang in Lautschrift vorgestellt. Bei einer Karaokestation kann man sich daran versuchen, diesen Vögeln eine Stimme zu geben.

Anders hören. Museum für Neue Kunst, Marienstr. 10a, Freiburg. Di-So 10-17 Uhr, Do 10-19 Uhr. Bis 08.09.2024.

Bildquellen

  • Nevin Aladag: „Raise the Roof“, Venedig, 2017: © privat