Wenn Dir das Leben Zitronen gibt: Am Theater Freiburg ist die deutschsprachige Erstaufführung von Sarah Berthiaumes „Wollstonecraft“ zu sehen
Sarah Berthiaumes Drama „Wollstonecraft“ verhält sich zu Mary Shelleys Roman „Frankenstein“ wie Flickwerk. Was das bekannteste Monster der Weltliteratur ja auch ist. Während Dr. Frankenstein sein Geschöpf aus kaum näher definierten organischen Materialien erschaffen hat, bedient sich die kanadische Autorin beim Roman selbst, den Umständen, unter denen er entstand und der biografischen Konstellation. Am Theater Freiburg ist es nun als deutschsprachige Erstaufführung unter der Regie von Camilla Dania zu sehen. Und es ist ja alles da: die Hybris derjenigen, die das technisch Mögliche einfach machen, die Dichtung und die Künstlerehen und -freundschaften sowie die Klimakrise und ja selbst die Arktis. 1816, als Mary, Tochter der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, und Percey B. Shelley vor ihren Familien in die Schweiz flohen und in Lord Byrons Villa am Genfer See Unterschlupf fanden, ist als das Jahr ohne Sommer in die Geschichte eingegangen. Ein Vulkanausbruch in Indonesien bewirkte, dass die Ernte in Europa ausfiel, Menschen hungerten und starben. Die englischen Freunde jedoch fingen wegen des anhaltenden Regens an, einander im literarischen Wettbewerb zu messen. Das Monster war geboren. Und trotz all dieser Übereinstimmungen wirkt das, was auf der Bühne des Kleinen Hauses zu sehen ist, als hätte ein gut aufgelegtes Kollektiv sich des Stoffes angenommen und erst einmal gebrainstormt. Es ist ziemlich überdreht. Nur die Bühne mit dem dominierenden Kühlschrank und der Kücheninsel, auf der eine Schale Zitronen steht, wirkt reichlich unterkühlt (Bühne: Samuel Herger)
Um Tupper-Ware geht es auch noch. Maries beste Freundin Claire (Stefanie Mrachacz), die den Namen von Shelleys Halbschwester trägt, hat ihre Autorinnenkarriere aufgegeben und sich der Vermarktung von Plastikboxen verschrieben. Charlotte Morache hat aus Mrachacz ein Tradwife mit einem gestärkten Corsagenschürzenkleid gemacht, zu dem sie die Haare im Farbverlauf trägt. Es läuft nicht gut, was gnadenlos überspielt wird. Kaum etwas beschreibt das Ende des Zeitalters hedonistischer Ressourcenverschwendung derart treffend wie die reale Insolvenz von Tupper-Ware. Doch bevor es soweit kommt, wird erst einmal der 3D-Drucker für On-Demand-Bestellungen angeworfen und da Claire so beschäftigt ist, stellt sie ihn bei ihrer Freundin Marie (Janna Horstmann) unter. Die leidet unter Schreibhemmungen, Fehlgeburten, deren zitronengroße Überreste sich im Kühlschrank stapeln und wird vom Gesundheitssystem von Chatbots mit Arztterminen in unbestimmter Zukunft vertröstet. Vielleicht leidet sie auch ein bisschen unter ihrem Mann Perceval (Victor Calero), der als Impresario seines KI-generierten Lyrik ziemlich papierne Zeilen rezitiert. Perceval gibt schon einmal das Thema des Schöpfers vor: „ich hauche ihr Leben ein“, schwadroniert er über seinen Algorithmus, während Marie noch einen Abort mehr ihm Kühlschrank unterbringt. Dass der 3D-Drucker bei der Entstehung des Geschöpfes eine Rolle spielt, ahnt man schon bald. Es wird aussehen wie Percy, sich aber den Namen Wollstonecraft geben.
Das dreiköpfige Ensemble agiert in dieser wildwüchsigen Groteske mit Spielwitz und komödiantischem Timing. Victor Calero zeigt als das Geschöpf zudem eine etwas tumbere – und bevor es zum Mörder wird – sogar sozialere Variante von Perceval – er macht aus den Zitronen für seine Schöpferin Limonade. Doch die Motive verdichten sich nicht, sie vermehren sich, hinzu kommen acht lemurenartige Wesen, die mal die Dämonen verkörpern, mal mit eingefärbten Bällen werfen, dann die Besatzung eines Schiffes geben, die in der Antarktis Plastik einsammelt. Das Exaltierte und Überdrehte in einem Setting einer Dystopie ist natürlich gewollt, doch verliert man darüber das Interesse am Plot.
Weitere Vorstellungen: 19. April im Kleinen Haus, Theater Freiburg.
Bildquellen
- Janna Horstmann: © Britt Schilling