„Und dann waberte uns der Boden entgegen“ im Kunstverein Freiburg

Es war bestimmt eine gute Party. Betritt man derzeit den Kunstverein Freiburg hängt das Licht wie kalter Rauch in der Halle. Er wird sich nicht heben. Was dort in der Ausstellung „Und dann waberte uns der Boden entgegen“ im Halbdunkel zu sehen ist, lässt einen glauben, man sei einen Tag zu spät gekommen. Allerdings sah es bei der Pressekonferenz bereits so aus, als hätte man das Wesentliche verpasst. Die Gruppenschau ist Teil einer Kooperation mit dem Kunstverein Langenhagen, wo bereits im letzten Herbst unter dem Titel „wir stolperten den Hügel hinab und begegneten einer Form“ ein erster Teil gezeigt wurde. Über eineinhalb Jahre erstreckte sich die Zusammenarbeit. Es ist vielleicht eine Konsequenz des Lockdowns, dass die Frage, wie Ausstellungen entstehen stärker im Vordergrund stand als das, was später dann gezeigt werden sollte. In Workshops des Acid Collèges machte man sich locker und erklärte das bewusstseinserweiternde Erlebnis zur Grundvoraus­setzung des Kuratierens. Nicht zufällig erinnert der Titel ein bisschen an Albert Hofmanns berühmte Velofahrt 1943 unter LSD-Einfluss.
Doch was im Kunstverein Freiburg an die Oberfläche dringt, sind – um im Bild zu bleiben – allenfalls die Pilze eines Myzels. Was sich unter der Erde tut, wie es kommuniziert und wen es so alles miteinander verbindet, bleibt im Dunkeln. Doch die Beteiligten lassen sich zumindest nachlesen. Es sind neben einer Reihe von Künstlerinnen und Künstlern auch die jeweiligen Teams der Kunstvereine. Als historische Referenz hängt eine Zeichnung des belgisch-französischen Autors und Künstlers Henri Michaux im Kunstverein. Sie ist unter Einfluss von Meskalin entstanden. Wobei Michaux die Drogen nicht verherrlichte, sondern sie eher in Verbindungen mit „Verwüstungen“ sah. Seine Zeichnung setzt sich aus unzähligen feinen, farbigen Strichen zusammen, man wird sie im Kontext des Cadavre Exquis und der Écriture automatique der Surrealisten setzen können. Lässt sich das, was im Drogenrausch eine absolute, existentielle Erfahrung ist, ins nüchterne Arbeiten übertragen? Sybil Montet bezieht in ihre Skulpturen aus dem 3D-Drucker inhärente Programmfehler ein, die zu neuen Formlösungen führen und das rationale Arbeiten unterlaufen. Ihre changierenden Skulpturen könnten Requisiten eines SciFi-Filmes sein und erinnern entfernt an Tierschädel oder die Körper von Insekten als sei deren Aufbau eine Grundkonstruktion, auf die alles zurückzuführen sei. Vor allem bei den Installationen von Michael Dobrindt stellt sich die Frage, wie zwingend ihre Form ist. Braucht es zum angelaufenen Aquarium, in dem eine elektrische Fliegenfalle steht, noch das Döschen mit den Wasserpflanzen und in dem Display neben einer Reihe von Fotos, unter anderem von als Pferd verkleideten Hunden sowie die beiden Paperweight-Skorpione aus dem Souvenirladen?
Der Rausch als Narrativ, das alles semantisch zusammenhalten könnte, taugt nicht viel. Und er taugt auch als sozialer Kitt nicht, wenn man ihn nicht selbst erlebt hat. Und dies dürfte jede Besucherin, jeder Besucher der Ausstellung als Mangel und Leerstelle erfahren. Das kann einen verärgern oder einfach kalt lassen. Und so wie Lily Wittenburgs Bildobjekte, die zwischen Materialschüttung und Malerei stehen, eben doch neben dem Kontrollverlust auch die Kontrolle brauchen, ist auch der Rausch als schöpferischer Zustand Illusion. „Und dann waberte uns der Boden entgegen“ funktioniert auch im Nachhinein am besten als Gedankenexperiment.

Und dann waberte uns der Boden entgegen. Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21. Dienstag bis Sonntag 12-18 Uhr, Donnerstag 12-20 Uhr. Bis 21. Mai 2022. www.kunstvereinfreiburg.de

Bildquellen

  • Und dann waberte uns der Boden entgegen, Installationsansicht, Kunstverein Freiburg, 2022: Foto: Marc Doradzillo