Reise in die Wohlstandsverwahrlosung: Christian Krachts „Eurotrash“ am Theater Freiburg

Man kann Christian Kracht keinen Vorwurf machen. Wer wie sein eigener Vater heißt (tatsächlich lautet sein eigentlicher Vorname Philip, wie im SZ-Interview im Programmheft nachzulesen ist), kann schon Wirklichkeit und Fiktion durcheinanderbringen. Erst recht, wenn sich der Missbrauch der Mutter am Sohn wiederholt. Kracht hatte 2018 in der Frankfurter Poetikvorlesung die Vergewaltigung durch einen kanadischen Priester öffentlich gemacht und nach Spuren davon in seinem Werk gesucht. Seine Mutter wurde von SS-Freunden ihres Vaters vergewaltigt. Und noch so ein Zufall: Kracht hatte gerade seinen Roman beendet, als seine Mutter starb. Da wird die Mimikry zur zweiten Haut.
Krachts Roman „Eurotrash“ war kaum veröffentlicht, ein halbes Jahr später gab es die ersten Theaterinszenierungen. Auf die Berliner Schaubühne folgte das Hamburger Thaliatheater und die Fassung von Peter Carp und Rüdiger Bering beruht auf den Textbearbeitungen dieser Inszenierungen. Im Kleinen Haus des Theater Freiburg bildet ein Bühnenprospekt mit Gipfelparade den Hintergrund und die Aussicht. Links davor steht eine modernistische Ledersitzgruppe und rechts eine rote-weiße Seilbahnkabine. Zwei Miniaturmodelle hängen im Schnürboden und werden erst später eingesetzt (Bühne: Kaspar Zwimpfer). „Eurotrash“ ist eine Art Roadmovie durch die Schweiz, das das fortgeschrittene Alter der Reisenden berücksichtigt. Sie sind Übriggebliebene, der Vater ist seit zehn Jahren tot und war als rechte Hand von Axel Springer zu Wohlstand gekommen. Sie reisen mit leichtem Gepäck, einigen Wodkaflaschen, hinreichend Schlaf- und Schmerzmittel, die Wechselbeutel für den künstlichen Darmausgang der Mutter passen in die Handtasche. „Maman“ ist in ihren 80ern, ihre Darstellerin Margot Gödrös Jahrgang 1939. Das Auto bleibt in der Garage, ein Taxi ist schnell bestellt. Der Erzähler, der sich mit dem Autor den Vornamen und auch den Beruf teilt, macht einen Abstecher zu einer Kommune, die sich als überraschend rechts herausstellt, bevor es zu Stationen familiärer Erinnerungen geht. Ihre Ausgaben bestreiten sie aus einer weißen Plastiktüte, in der sich 600.000 Franken befinden, Nazigeld und Gewinne aus Anteilen an Rüstungsfirmen. Was übrig bleibt, soll verschenkt werden, was sich als gar nicht so einfach herausstellt.
Maman kauert auf ihrem Rollator in sich und ihren gelben Mantel zusammengesunken, während der Sohn Züri-Bashing betreibt. Alle zwei Monate steigt er im gleichen Hotel ab, um bei der Mutter vorbeizuschauen, die von Alkohol und Drogen sowie Medikamenten abhängig ist und zunehmend dement wird. Man weiß gar nicht, was den Sohn mehr belastet: der Stilbruch ihres billigen Fendants für sieben Franken oder dass die gemeinsamen Erinnerungen schwinden. Ihr Umgang miteinander ist ritualisiert. Christian (Henry Meyer) trägt selbst schon ziemlich schwer an der eigenen Hinfälligkeit und ist den wohl gesetzten Fies­heiten seiner Mutter wie ein Kind ausgesetzt. Ihre Stiche sind perfide und zeugen von Kenntnis der Gegenwartsliteratur. Sie hat die Pointen. Gödrös‘ Tonfall ist fragil, brüchig und schneidend, die Bühne gehört ihr, und Gödrös füllt sie mit Bravour aus. Während sich Christian in eine gleichbleibende Suade eingroovt, ist der Percussionsound von Jan Peter E. R. Sonntag sein ständiger Begleiter. Überhaupt ist diese Inszenierung vor allem Text, oder genauer: zu Gehör gebrachter Text. Meyers Klage, in die sich Orte mondänen Müßiggangs und Berühmtheiten einschleichen, bleibt sich gleich. Dass sich hier jemand vom väterlichen Bedürfnis nach Distinktion emanzipiert, glaubt man nicht. Mitunter gibt Carp der gut zweistündigen Inszenierung Fleisch, etwa wenn sich die beiden Seilbahnmodelle oben nur sehr zögernd in Bewegung setzen oder wenn Christian in schmal geschnittenem Anzug mit Einstecktuch hilflos mit dem vollen Kotbeutel der Mutter herumläuft. Das appelliert nicht zuletzt an die Erlebnisse des Publikums mit den eigenen Eltern. Doch zu einer solchen Gemeinschaftserfahrung taugt „Eurotrash“ eben weniger.

Weitere Vorstellung: 24. November, Kleines Haus, Theater Freiburg.

Bildquellen

  • Margot Gödrös und Henry Meyer: Foto: Laura Nickel