„Objekte der Begierde. Surrealismus und Design 1924-heute“ im Vitra Design Museum

Exquisit und oft erheiternd

Mit exquisiten und oft erheiternden Exponaten bestreitet das Vitra Design Museum derzeit die Ausstellung „Objekte der Begierde. Surrealismus und Design 1924 – heute“; sie zeigt, wie sich Surrealismus und Design gegenseitig beeinflusst haben, was an Möbeln und Interieurs sowie an Bildern, Mode, Film und Fotografie offensichtlich wird. Seit dem ersten surrealistischen Manifest 1924 entwickelte sich eine entsprechende Bewegung international und erklärte Traum und Unterbewusstsein, Zufall und Irrationales als Quellen für eine neue künstlerische Realität, wobei auch die Lebenswelt und das Alltagsmobiliar subversiv in den Blick genommen wurden.

Dafür stehen Objekte wie Marcel Duchamps „Fahrrad-Rad“ (1913), Man Rays „Geschenk“ (1921) oder Salvador Dalís „Hummertelefon“ sowie Bilder von Giorgio de Chirico, Yves Tanguy, Max Ernst u.a. Ab den 1930er Jahren verbreitete sich der Surrealismus zunehmend in den USA, da zahlreiche Künstler aus Europa während der NS-Zeit dort Exil fanden; infolgedessen wirkten surrealistische Vorstellungen auf Designer wie Ray Eames und Isamu Noguchi sowie auf den Architekten Friedrich Kiesler, der 1942 Peggy Guggenheims „Galerie Art of This Century“ gestaltet hat.
Die Schau bei Vitra zieht Linien zwischen Kunstwerken und Design-Objekten, sodass Parallelen und Zusammenhänge aufscheinen, etwa von Magritte zu Achille Castiglioni und Aldo Tura. Zum Auftakt leistet sie eine Bestandsaufnahme, die offenlegt, dass Design nicht auf perfekte Form und Technik begrenzt ist, sondern mit Bezügen zu einer verborgenen Realität – also dem Sur-Realen – arbeitet und Fiktion durchaus über Funktion stellen kann. In diesem Geist bringen Künstler neuartige Skulpturen hervor oder, wie Le Corbusier, skurrile Architekturen. Der zweite Teil der Ausstellung fokussiert, wie so einer vertrauten Welt abgründige Bedeutungen entlockt werden, wenn etwa Meret Oppenheim ihren Tisch „Traccia“ auf zwei Vogelfüße stellt und eine Tasse mit Pelz überzieht. Über fünfzig Jahre später wird eine Teekanne („High Tea Pot“) von Somers in Form eines Schweineschädels gestaltet, was unser Gefühl von Behaglichkeit ebenso untergräbt wie ein Kaffeeservice, das der Designer Ingo Maurer zu einer phantastischen Lampe explodieren lässt. Surrealistische Strategien wirken bis in die Gegenwart, was sich nicht zuletzt daran erweist, dass Künstler die Möglichkeiten neuer Kunststoffe nutzen, um surreale Motive – wie das Zerfließen von Formen – in Sitzskulpturen umzuwandeln. In die Reihe derartiger Verfremdungen gehören auch Modeentwürfe von Iris van Herpen, eine Lampe von Front, die elegant auf einem Pferd thront, sowie Konstantin Grcics Kleiderbügelbürste „Coathanger“.
Mit den zentralen surrealistischen Themen Liebe, Erotik und Sexualität sowie mit „primitiver Kunst“ und Archaik befassen sich die beiden letzten Teile des Parcours – Geschlechterklischees und deren Parodierung wechseln sich in diesem Zusammenhang ab. Hier begegnen wir u.a. dem lippenförmigen Sofa „Bocca“ (1970), das weit in die Geschichte des Surrealismus zurückweist. Im Dialog zwischen Surrealismus und Design wird die Form vom Funktionalismus befreit und das Sur-Reale wird formal reflektiert. Die ausgeklügelte Schau ergänzt ein aufschlussreicher Katalog; begleitend werden Talks, Events und Workshops geboten.
Vitra Design Museum. „Objekte der Begierde. Surrealismus und Design 1924-heute“, Tägl. 10 bis 18 Uhr. Bis 19. 1. 2020

Cornelia Frenkel

Bildquellen

  • VDM_Objects of Desire_Studio65 Bocca: Vitra Design Museum