Mit „Die Vier“ zeigen die Immoralisten, wie vier idealistische Politiker an einer neuen Weltordnung scheiterten

Vorspiel zum Untergang

Es ist ermüdend, PolitikerInnen beim Zanken zu beobachten. Zumindest wenn dies in der Öffentlichkeit geschieht. Spannender gestaltet sich die Frage, was hinter den Kulissen passiert und noch spannender, was vor entscheidenden Momenten der Weltpolitik in all jenen Hinterzimmern passierte, zu denen keiner von uns je Zutritt hatte. 1919 war ein solcher Moment gekommen. Unter Leitung des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson kamen der britische Premierminister David Lloyd George, der Präsident des italienischen Ministerrats Vittorio Emanuele Orlando und der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau zusammen, um nach dem Ersten Weltkrieg eine gerechte neue Weltordnung zu schaffen.


Das Theater der Immoralisten unter der Regie von Manuel Kreitmeier hat sich den Protokollen dieses Zusammentreffens in Paris angenommen und daraus ein lebendiges, keineswegs ermüdendes Kammerspiel gestaltet, genannt „Die Vier“. Im kleinen Theaterraum, der ganz sensationslos ein gutbürgerliches Wohnzimmer mit Weltkarte präsentiert (Bühnenbild: Kreitmeier), kooperieren und duellieren sich die Großen und stoßen dabei vor allem auf menschliche Unzulänglichkeiten. Denn weder ist Wilson der kühne Idealist als der er sich gerne präsentiert, noch sind die anderen die friedliebenden, gutgläubigen Mitschaffenden unter seinen Fittichen. Und so ist es letztlich nicht nur jener nationale Egoismus, wie ihn Wilson befürchtete, der die Gespräche zur Implosion bringt, sondern vor allem der persönliche Starrsinn und das taktische Kalkül, das ein jeder dann doch hemmungslos verfolgt.
Florian Wetter, neben Manuel Kreitmeier das zweite Gesicht der Immoralisten, spielt den Präsidenten Woodrow Wilson mit nervöser Verve. Eng am Krückstock zeigt sich der Amerikaner zu den Gesprächen bereits geschwächt, wie eine Stimme aus dem Off einführend erklärt. Ebenfalls unruhig erscheint sein britisches Gegenüber, das Markus Schlüter in seiner zweifelhaft optimistischen Art treffend zwiespältig präsentiert. Anna Tomicsek durchbricht den männlichen Reigen durch eine überspannt divenhafte Darstellung des französischen Premiers, während Jochen Kruß als impulsiv-theatralischer Italiener für die Lacher, aber auch die Dramatik sorgt. Recht schnell zeigt sich in diesem Potpourri politischer Exzentriker, dass „Die Vier“ nahe an der Satire steht. Dafür sorgen auch die Effekte, die den sonst naturalistischen Kleinstkosmos des Hinterzimmers theatralisch durchbrechen. Da singt Orlando plötzlich pathetisch zu italienischer Opernmusik oder versucht mit einem Dolch erst Wurst, dann Kehlen zu schneiden. Dynamik bietet das Stück in jedem Fall, auch wenn die vor allem von jenem italienischen Temperament rührt. Dass dafür nationale Klischees bemüht werden, dass die jüngst erlebte Verzweiflung angesichts eines verheerenden Weltkrieges hinter den Überspanntheiten der Charaktere zurückbleiben, nehmen die Immoralisten in Kauf. Vielleicht bildet das Wissen um diese Leerstelle ja auch das satirische Potential des Stücks.
Gelungen ist neben der erzählerischen Dynamik, der Leistung, aus Protokollen Dramaturgie zu gestalten (Text: Kreitmeier und Wetter), auch die subtile Hinwendung zum Publikum, das als vierte unsichtbare Macht verbleibt, über die vor allem gerichtet wird: Deutschland. In einer der wenigen tragikomischen Szenen wendet sich der französische Premier affektiert wie auch klagend an den Kriegsfeind und seine Verhandlungsunfähigkeit. Ein nur vermeintlich überspannter Monolog, dessen Unwägbarkeit zu den intensivsten Momenten des Stücks führt.
Am Ende fliegen die losen Seiten des Versailler Vertrags gen Publikum. Das scheiternde Zeugnis eines vielversprechenden Aufeinandertreffens und ein produktives Feindbild vor dem sich Diktatoren wie Mussolini und Hitler erfolgreich abheben und die Welt in einen weiteren Krieg steuerten konnten.
Aufführungen im November: 1./2., dann immer Do. bis Sa., jew. 20 Uhr, außer 21.-23 im Theater der Immoralisten.

Fabian Lutz

Bildquellen

  • Frankreich, Amerika, Großbritannien in Person: Anna Tomicsek, Florian Wetter, Markus Schlüter: Manuel Kreitmeier