Theater

Nur im Traum frei: Amir Reza Koohestani inszeniert Franz Kafkas „Der Prozess“ am Theater Freiburg als Alptraum einer Bürokratie

Die Schattenwürfe sehen aus wie gemeißelt. Im Verlauf von Amir Reza Koohestanis Inszenierung von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ für das Theater Freiburg werden die hohen Wandsegmente immer neue Raumsituationen schaffen, mal mehr mal weniger eng. Immer jedoch beklemmend. Linien aus Licht zeichnen auf die Wände Grundrisse und Etagennummern als befände man sich in einem Aufzug und ein kopfloses Notausgangssymbol (Bühne und Lichtdesign: Eric Soyer). Man kommt nicht umhin daran zu denken, was nach 1925 passierte, nachdem Max Brod den Roman seines Freundes veröffentlich hat. Die Architektur auf der Bühne des Kleinen Hauses jedenfalls sieht schon ein bisschen faschistisch aus. Noch glaubt Josef K. (Thieß Brammer), den bekanntlich jemand verleugnet haben musste, ohne dass er etwas Böses getan hätte, ihm stände ein solcher Notausgang zu. Doch anders als in Kafkas Roman arbeitet Josef K. nicht als Prokurist in einer Bank, sondern wie der Autor selbst für eine Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt. K. berechnet, was Menschen, die zu Schaden kamen, zusteht und was nicht und ob und wann die Versicherung profitiert. Das ändert das Gefüge des Romans. Josef K. ist von Beginn an Teil eines bürokratischen Systems, eines sich verselbstständigenden Machtapparates, gegen den er anzukämpfen glaubt (Textfassung: Keyvan Sarreshteh).
Amir Reza Koohestani, der nun bereits zum fünften Mal am Theater Freiburg inszeniert und Keyvan Sarreshteh – wie der Regisseur auch in Iran geboren – haben die Anzahl der Romanfiguren auf fünf Rollen reduziert. Die quecksilbrigen Frauenfiguren, die Josef K. ständig zum Besten zu halten scheinen, verdichten sich in Fräulein B. (Josefin Fischer), das Gericht wird durch die Ermittlerin (Marieke Kregel), den eitlen Maler Titorelli (Henry Meyer) und den Untersuchungsrichter (sehr präsent: Hartmut Stanke) verkörpert. Josef K. hält die ominöse Verhaftung durch seine Nachbarin für einen Racheakt wegen einer zu lauten Geburtstagsparty. Er ist gerade 30 geworden. Als spräche es für ihn, öffnet er vor der Ermittlerin seinen Morgenmantel. Spätestens bei der Anhörung, zu der die nächst höhere Instanz sich nur zuschaltet und für K. selbst unsichtbar bleibt, sieht dieser mit dem cognacfarbenen Pulli unter der Steppweste und den Wildlederloafers aus wie ein Wutbürger, der gerade noch so FDP wählt. Er schwadroniert von Machtmissbrauch und einer geheimen Agenda der Justiz. Die Kamera ist auf sein Gesicht gerichtet, das auf eine der Wände leicht verzerrt und vervielfältigt projiziert wird. Man kann sich von dieser Figur leicht distanzieren. Irgendwann wird sich K. nur noch in seinen Träumen frei fühlen.
Die absurd-komische Seite des Textes, Kafka war ja ein Freund des Slapsticks, etwas das Brammer durchaus liegt, ist anscheinend nicht so die Sache von Koohestani und Sarreshteh. Sie hätte ein Gegengewicht bilden können zu den etwas bemühten Aktualisierungen wie Kreditkarte, Handy und GPS, allesamt Technologien, ohne die man heute nichts ist. K. rennt nicht gegen Windmühlen, er hat sich einfach verrannt. Koohestani und Sarreshteh haben in „Der Prozess“ ihre Erfahrungen mit der Bürokratie im Iran und in Deutschland verarbeitet. Der kleiner werdende Lebenskreis von K. findet seinen Ausdruck in einer Fußfessel. Die eineinhalbstündige Inszenierung verliert durch solche Bilder der Kontrolle einiges an Subtilität und zugleich an Ominösen. Was der Regisseur wettzumachen glaubt, indem er durch die eingefügte Parabel „Vor dem Gesetz“ noch einmal Kafka in Reinform bringt, gesprochen und vertanzt von dem unglaubwürdigen Paar Titorelli und Fräulein B., das Kopfhörer trägt. Kafka als Silent Disco, direkt in den Kopf hinein. Da wäre er auch wirklich gut aufgehoben.

Weitere Vorstellungen: 13./14.02., 23.03., Kleines Haus, Theater Freiburg.

Bildquellen

  • Henry Meyer, Josefin Fischer: © Rainer Muranyi