Nun ist das Lied in der ganzen Stadt zu hören: die Biennale für Freiburg 2 ist eröffnet

Das Tröstliche daran, dass die Biennale für Freiburg 2 bereits am 30. Juli endet, ist dass sie nie lediglich auf die Ausstellungen beschränkt war und Zeit hatte, in die Stadt einzusickern. Und es wäre zu wünschen, dass sie Spuren hinterlässt. Das Motto dieser zweiten Ausgabe der Biennale für Freiburg „Das Lied der Straße“ überbrückt nicht allein noch die größte Distanz zwischen diesen elf Ausstellungsorten, es ist auch über Generationen zu hören. Indem Maximiliane Baumgartner mit ihrer mobilen Flugblattwerkstatt durch Freiburg zieht und indem sie sich mit der Freiburger Künstlerin und Kunstpädagogin Eva Eisenlohr (1891-1977) befasste, die man wegen ihres Engagements für den Dramatiker und Lyriker Joseph von Auffenberg vielleicht belächeln kann, die man für ihre Unermüdlichkeit andererseits nur bewundern kann. Eisenlohrs Arbeiten wurden während des „Dritten Reichs“ als „entartet“ diffamiert und beschlagnahmt. Nach dem Krieg arbeitete sie weiter und meldete zudem ein Patent auf eine windschnittige Auto-Heckflosse an. Und auch die Medienwerkstatt Freiburg verbindet, indem sie ihr Archiv öffnet und Material aus den 1980er Jahren zeigt. Viele dürften sich noch an die Auseinandersetzungen um günstigen Wohnraum und die Besetzung von Häusern erinnern, für alle Jüngeren dürfte es einen Punkt markieren, an dem die heutige Immobilienmisere noch hätte verhindert werden können. Und ein bisschen hat dies auch seine Gültigkeit für die handgeschriebenen Banner Kirti Ingerfurths im Kunstverein Freiburg, wo die Hauptausstellung der Biennale zu sehen ist. Zwar hat der Freiburger Künstler erst vor drei Jahren mit diesen Arbeiten begonnen, doch reichen sie in eben diese Zeit zurück.
Die 1989 geborene Paula Kommoss, künstlerische Leiterin der Biennale für Freiburg 2, hat eindeutig kein Programm allein für ihre Generation kuratiert. Und so war es durchaus programmatisch, dass die Eröffnung am 16. Juni im Seepark stattfand, der zuletzt immer wieder im Fokus der Lokalpolitik stand. Zu sehen war die Performance von lo.me (Loren Tschannen und Mélissa Biondo). „Ultra“ spielte über eine Stunde mit den Erwartungen des Anfangs, die von der athletischen Präsenz, der Superkräfte-Kostüme und wenigen Bewegungen der beiden Performerinnen geschürt wurden – kein schlechter Auftakt für das Ausstellungsprogramm. Tatsächlich wirkt vieles an dieser Biennale sehr bewusst gesetzt, zudem sind viele einzelne Arbeiten wirkliche Entdeckungen. Etwa die Videoarbeit „The Silence of the Sheep“ der ägyptischen Künstlerin Amal Kenawy, die in Kairo eine Gruppe von auf allen Vieren laufender Menschen anführte. Der Verkehr gerät ins Stocken, es bildet sich eine Traube aufgebrachter Männer, die ihre Aktion als Angriff auf den „ägyptischen Stolz“ versteht und sich in Rage redet. Die Frage, wer sie denn sei, „who are you“, ist nicht einmal eine Frage, sie kann für die Entmündigung und Unterordnung der Frauen in einem derart patriarchalischen System stehen. Sehenswert ist auch die Videoarbeit „LIRNYK“, die 2006 vom ukrainischen Kollektiv R.E.P. (The Revolutionary Experimental Space) produziert wurde. Sie greift die Tradition der gleichnamigen wandernden Sänger auf, die sich selbst mit dem Streichinstrument der Lira begleiteten und folkloristische Erzählungen wiedergaben. R.E.P. erneuert diese Praxis, indem es Performances wie etwa von Marina Abramović zum Thema macht. Ebenso bemerkenswert sind die „Bettelbriefe“, die Nikifor Krynicki 1935 geschrieben und gezeichnet hat. Er ließ sie im öffentlichen Raum kursieren, legte sie auf Bänke ab mit der Bitte, ihn mit Material für seine Malerei zu unterstützen.
Wer beansprucht den öffentlichen Raum ist eine Frage, die die Demokratie betrifft. Ist es ein Außenseiter wie Krynicki, die an ein Grundprinzip aller Gesellschaften die Solidarität appellieren? Sind es Gruppen oder Individuen, die glauben, das Schaf sei immer der andere und ihr Anspruch auf Freiheit stehe über dem Allgemeinwohl? Sind es demokratisch gewählte Kräfte, die man für undemokratisch halten kann? Sind es die Verteidiger der Demokratie? Das Thema des öffentlichen Raumes und der Partizipation, so naheliegend es für eine Veranstaltung ist, die sich Biennale für Freiburg nennt, ist mit Bedacht gewählt und ausgeführt. Die Freiburgerinnen und Freiburger sollten diese Chance nützen.

Biennale für Freiburg. Das Lied der Straße, bis 30. Juli. www.biennalefuerfreiburg.de

Bildquellen

  • Amal Kenawy: „Silence of the Sheep“, 2009, Videostill: © Amal Kenawy Estate / Suha Shoman