Kolumne: Brückenbau in Dietenbach

Hektisch flattern die Vögelchen durchs Langmattenwäldchen. Ein unheilvolles Grölen durchschneidet die Luft, das darauffolgende Beben lässt die Baumkronen erzittern. Was nun am Horizont erscheint, hat kein Vögelchen je gesehen: Riesige Silhouetten dampfen unheilvoll aus Rohren und wühlen die Erde vor sich auf. Aufgeregt zwitschert es von den Bäumen. „Welch ein Tier könnte zu so viel Zerstörung in der Lage sein?“. Da meldet sich die kleine Roswitha zu Wort. Bei einem Ausflug ins Städtchen habe sie vor einiger Zeit Gerüchte ansässiger Tauben gehört. Von einem neuen Stadtteil und mehr Wohnraum sei die Rede gewesen. Wohnraum für Menschen, versteht sich. „Was hat das mit unserem Wäldchen zu tun?“, zwitschert es. Roswitha holt tief Luft. Menschen sind schwer zu verstehen – was sie tun, ist umso schwerer zu erklären. 2019 sollen die Menschenbürger:innen über einen neuen Stadtteil abgestimmt haben: Dietenbach. Der sollte bis 2024 viel bezahlbaren und inklusiven Wohnraum schaffen, damit diese mit ihren Familien Eigentum erwerben können, ohne die zehn nachfolgenden Generationen zu verschulden. Für jeden ein eigenes Nest. Klimaneutral, versteht sich, damit die Vögelchen friedlich neben den Menschen leben und ihnen morgens schöne Lieder trällern dürfen. „Das klingt ja prima“, zwitschert es. „Aber was sollen jetzt diese Monster?“ – Roswitha grübelt. Naja, was der Mensch verspricht und was er dann tut, sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Rathaustauben zwitscherten ihr, dass das wohl alles nicht so glatt gelaufen ist. Von Kostenverdopplungen war die Rede. Sprach der Mensch 2018 noch von 602 Millionen Euro, seien es Ende 2022 bereits 1.248 Millionen Euro gewesen. Sogar die Sparkasse Freiburg soll aus dem Grundstücksgeschäft ausgestiegen sein. „Aber was ist denn ein Euro?“, zwitschert es von den Bäumen. Roswitha überlegt. Naja, das ist, als würdet ihr eine Eichel finden und diese beim Eichhörnchen für einen Wurm eintauschen. So in etwa. Jedenfalls kostet das jetzt wesentlich mehr Eicheln und Würmer als gedacht. Für die Menschenbewohner:innen bedeutet das: Statt eines Grundstückpreises von 680-820 €/qm, sind es nun 1500 €/qm. „Das sind aber viele Eicheln und Würmer!“, zwitschert es erschrocken. Roswitha flattert aufgeregt mit den Flügeln. Genau, zu viele Eicheln und Würmer! Und dazu sollen auch noch unsere und die Häuser unserer Freunde fallen. Die Rathaustauben meinten sogar, dass den Menschenbürger:innen versprochen wurde, dass kein Baum gefällt wird. Jetzt sollen es 4000-5000 Bäume werden. „Ach du Schreck, und was ist mit uns?“. Naja, damit die Menschenbewohner:innen zu ihren Häusern kommen, sollen unsere Häuser weg und dafür eine Stadtbahn hingebaut werden. Die Vögelchen sind erschüttert, es wird leise im Wäldchen. Roswitha versucht sie zu beruhigen. Die Rathaustauben hätten einen ulkigen Vorschlag gemacht: Wenn man einfach eine gigantische Brücke über ganz Dietenbach spannen würde, könnten die vertriebenen Vögel und die Menschen, die sich auf ein eigenes Nest gefreut hatten, darunter leben. So müssten große Investoren den Anblick von Natur und Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen im sozialen und grünen Freiburg auch nicht länger ertragen.

Bildquellen

  • Ein fiktives Bild der kleinen Roswitha mit ihren gefiederten Freund:innen: Foto: Elizabeth Tr. Armstrong