Kleidung oder Verkleidung? Humorvolle Cindy Sherman Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart

Erfreulich ist die menschliche Schönheit, wenn auch zugleich ein sichtbares Drama; denn sie will sich ständig neu beweisen, geht aber letztlich verloren. Mit diesbezüglichen Phänomenen konfrontiert uns die Mode-Welt, die im Werk der US-amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman (*1954) beleuchtet wird, mittels fotografischer Selbstinszenierung mit verschiedenen Kleidern, Perücken, Posen und Schminken. Ihr Thema eröffnete sie vor rund fünfzig Jahren, zunächst mit Fundstücken aus Second-Hand-Läden und den Serien „Untitled A-E“ (1975) sowie „Bus Riders“ (1976); hier schlüpfte sie in fiktive Personen, deren Alter, Hautfarbe und soziale Herkunft deutlich divergieren. Sherman betreibt Rollenspiele mit schrill oder cool daherkommenden modischen Idealen, nutzt dafür zwar ihren eigenen Körper, aber es entstehen keine wiedererkennbaren Selbstporträts, sondern künstlich und veränderbar erscheinende Identitäten. Bei allem Vergnügen, das diese Bilder bereiten, die visuelle Versprechen und Täuschungen mit Witz und Sarkasmus präsentieren, der kritischen Reflexion lässt sich kaum entkommen.
Hauptquelle der Inspiration war für Cindy Sherman in den 1970er Jahren die Filmkunst, danach nahm sie die Haute Couture ins Visier. Letzterem Werkteil widmet sich die Staatsgalerie Stuttgart derzeit mit der Schau „Anti-Fashion“. Da sich Modewelt und Bildende Kunst seit jeher durch das Medium Fotografie im Dialog befinden, nutzt Sherman diese Beziehung, um eine auf Klischees basierende Ästhetik der Modefotografie subversiv ins Licht zu setzen, indem sie Menschen zeigt, die faszinierenden Stereotypen von schön und hässlich, Gender, Lifestyle und Markenfetischismus widersprechen. Neben ihren widerborstig analytischen Arbeiten steht Sherman auch immer wieder selbst für Modeunternehmen wie etwa Chanel vor oder hinter der Kamera für Aufnahmen, die im Rahmen von Marketing verwendet werden. Stets reflektiert sie den holprig schmalen Grat zwischen Kleidung und Verkleidung („Clowns“, 2003-2005) oder studiert etwa, wie in der Serie „Balenciaga“ (2007/2008), die tragikomischen Bemühungen nach ewiger Jugend. Bizarres und Kurioses will wichtigtuerisch dem Wesentlichen und Funktionalen entkommen, was Geschmack und Sensibilität zum Lachen reizt. Go and see!

Staatsgalerie Stuttgart. „Cindy Sherman – Anti-Fashion“. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (dt./engl.), u.a. mit Beiträgen von Kurator Dr. Alessandra Nappo. Sandstein-Verlag 2023. Begleitprogramm mit Gästen aus Kunst- und Modebranche. Bis 10.9. 2023

Bildquellen

  • Cindy Sherman: „Untitled #588“, 2016/2018 Genehmigt von der Künstlerin, Hauser & Wirth und Sprueth Magers: © Cindy Sherman