Die BallettCompagnie Oldenburg zeigt „Solarwinde“ – drei Choreografien von Antoine Jully und Hans van Manen

Hans van Manen zählt zu den bedeutendsten Choreografen unserer Zeit, seine Ballette werden weltweit getanzt. Er gilt als einer der großen Erneuerer des Klassischen Balletts, indem er die Rollen von Mann und Frau im Tanz neu definiert hat. Er zeigt Beziehungen von gleichberechtigten, starken Menschen, die in ihrer Intensität durchaus auch von Dissonanzen geprägt sein können. Sein Stil ist sparsam und variantenreich zugleich, er ist ein Meister des Purismus. Da die Tänzer:innen niemals direkt ins Publikum schauen, sondern immer konzentriert bei sich bleiben, erhalten sie in seinen Choreografien eine Würde und Noblesse, die eine ganz besondere Sogwirkung auslöst. Und dass die Oldenburger BallettCompagnie in der Lage ist, ein Ballett von Hans van Manen zu tanzen und dies mit Brillanz und Freude, ist das Verdienst von Antoine Jully, der die Compagnie auf diese künstlerische Höhe gebracht hat.
Der Abend beginnt mit einer Wiederaufnahme von Jullys Choreografie zu Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“. Der Choreograf zeigt die Entwicklung eines Mädchens zur reifen Frau und interessiert sich für den eigentlichen Moment des Todes, der in den unterschiedlichsten Formen kommen kann. Mehrere Frauen tanzen im wahrsten Sinne um ihr Leben, werden umgarnt, festgehalten, gar gezwungen von ihren männlichen Tanzpartnern, die im übertragenen Sinne den Tod bringen. Dabei entsteht eine so dynamische und sehnsuchtsvolle Choreografie, dass man mit den Frauen sehnt und leidet, wenn sie zitternd dem Unentrinnbaren zu entfliehen suchen. Es ist dieser eine Moment, den der Choreograf groß und fühlbar macht, auf seine besondere, sensible Art.
Im zweiten Teil dann die Suite aus „Der Feuervogel“ von Igor Strawinsky. Hier realisiert Jully eine sehr komprimierte Version des Balletts: er schafft es, die Thematik vom freiheitsliebenden Vogel, der einem Prinzen hilft, eine Gruppe von Prinzessinnen aus den Fängen dunkler Mächte zu befreien, in essentiellen Kurzszenen darzustellen. Dabei gelingt ihm mit Eleganz und hoch energetischem Duett – und Gruppenszenen ein reifer Wurf, der einmal mehr den Facettenreichtum seiner choreografischen Fantasie, seine Musikalität und nicht zuletzt die Verve der gesamten Compagnie zeigt, mit der sie sich durch jeden Ballettabend tanzen. Das Oldenburgische Staatsorchester musiziert unter der Leitung von Vito Cristofaro eindrucksvoll und klanggewaltig.
Den Höhepunkt des Abends bildet die Einstudierung von Hans van Manens „Frank Bridge Variations“. Pure Faszination entsteht, wenn man dieser Choreografie folgt: klare Linien, Musikalität, tanztechnische Brillanz und auf den Punkt gebrachte Gesten ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Die fünf Paare tanzen sich mit Begeisterung durch die Choreografie, und sie bewältigen sie mit Bravour: die beiden Solopaare Teele Ude mit Seu Kim und Keiko Oishi mit Fran Kovaić beeindrucken mit einer selten gesehenen darstellerischen Intensität. In den Soli zeigt Seu Kim seine blitzsaubere Technik und Fran Kovaić einen beeindruckend kraftvollen Tanz, den er mit der typischen auffordernden Handgeste beendet. Ein starkes Programm und ein großartiges Saison-Finale! Oldenburg hat eine unglaublich versierte und vielseitige Compagnie, die sich mit ihrer profunden Tanztechnik erfolgreich durch alle Stile von Neoklassik über Modern bis hin zu zeitgenössischen Choreografien tanzt. Eine Compagnie auf der Höhe der Zeit.

Bildquellen

  • Teele Ude und Seu Kim in „Frank Bridge Variations“ von Hans van Manen: © Stephan Walzl