Im Gespräch: Roland Jerusalem zur Entwicklung Freiburgs (Kein Verkauf der Karlskaserne! Keine Innenstadt ohne Einzelhandel!)

Gibt man im Internet-Browser den Suchbegriff „Innenstadtentwicklung“ ein, explodiert der Rechner beinahe. Fügt man indes „Freiburg“ hinzu, bleiben die Fundstellen rar. Woran liegt das? Was läuft schief, wo doch Themen wie Leer­stände, Probleme des Einzelhandels, bedrohte Immobilien in der City etc. derzeit brisant sind? Mit dem Leiter des Stadtplanungsamts Dr. Roland Jerusalem sprach Martin Flashar.

Kultur Joker: Lieber Herr Jerusalem, täuscht der Eindruck, dass in vielen deutschen Kommunen das Thema „Innenstadtentwicklung“ seit langem intensiv diskutiert wird, während in Freiburg die Stadtgemeinschaft im Ganzen hier nicht ‚zu Potte‘ kommt‘?

Jerusalem: Die Entwicklung der Innenstadt steht in jeder Stadt im Blick, da die Innenstädte Schmelztiegel der gesellschaftlichen Entwicklung sind und zur Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Stadt beitragen. In Freiburg werden die Erreichbarkeit mit dem ÖPNV oder dem Auto, mal das Thema Nutzungskonflikte diskutiert – dabei steht die nächtliche Lärmbelastung im Vordergrund, oder die Aufenthaltsqualität von Straßen und Plätzen. Ein Dauerthema stellt die Pflege des Stadtbilds dar: besonders die Werbung. Es gibt Städte, die diese Themen in einem Konzept zusammenführen, hier verfügt z.B. die Stadt Münster über eine gute Strategie. Wir in Freiburg haben mit den Stadtteilleitlinien Innenstadt und mit der Innenstadt-Satzung Instrumente, um die Entwicklung zu steuern.

Kultur Joker: Warum spricht der Freiburger Einzelhandel nicht mit einer (starken) Stimme?

Jerusalem: Wieso die Freiburger Händlerschaft nicht einheitlicher auftritt, müssen Sie die Akteure selbst fragen. Bei unserer Fahrt nach Münster Anfang 2020 wurde uns dort überzeugend dargestellt, dass Händler und Stadtverwaltung gemeinsame Ziele vereinbart haben und sehr konsequent Projektepartnerschaftlich umsetzen.

Kultur Joker: Die Corona-Krise hat Defizite sichtbar gemacht, aber auch Chancen aufgezeigt. Beispielsweise die neue Konjunktur von Zwischennutzungen und Pop-Up-Stores. Ist das nur temporär, oder sollte dadurch etwas Dauerhaftes entstehen?

Jerusalem: Die Pandemie hat strukturelle Tendenzen, die es bereits zuvor gab, verstärkt. Wir diskutieren in der Fachkommission „Stadtplanung und Städtebau“ des Deutschen Städtetages intensiv, welche Nutzungen Innenstädte bereichern können und welche Rolle dabei die Kultur wie auch experimentelle Ansätze spielen.

Kultur Joker: Welche Steuerungsinstrumente hat die Stadt, um der grenzenlosen Filialisierung Einhalt zu gebieten? Klassischerweise wohl Baurecht und Bebauungspläne? Aber kann es nicht auch Mietendeckel geben?

Jerusalem: Fakt ist, das wir die Filialisierung nicht steuern können. Das Baugesetzbuch wie die Landesbauordnung sehen dafür keine Möglichkeiten vor. Wir können mit einem Bebauungsplan die Anteile der Nutzungen: Wohnen, Gewerbe oder Infrastrukturen (Schulen, KiTas etc.) sowie die Größe von Einzelhandelsflächen festlegen, aber nicht den Geschäftsbesatz oder die Inhaberschaft. Zum Mietendeckel gibt es ja Initiativen beim Thema Wohnen. Beim Gewerbe gibt es dazu keine Vorstöße, und dies ist bei einer „Ampelkoalition“ auf Bundesebene mit Beteiligung der FDP auch nicht zu erwarten.

Kultur Joker: Ein Pfund der Stadt sind eigene Immobilien. Muss nicht deren Verkauf gestoppt und eher auf Erwerb das Ziel gerichtet sein? Aktuelle Stichworte: Karlskaserne, Haus zum Herzog. Oder die Objekte der Modehäuser Fabel und Kaiser und die vormalige Sport-Arena in der Salzstraße.

Jerusalem: Ja, über den Grundbesitz lassen sich die Entwicklungen am besten steuern – es ist aber nicht realistisch, dass eine Stadt in der Lage wäre, jede Immobilie in der Innenstadt anzukaufen. Hier gilt es, Prioritäten zu setzen. Ich persönlich halte die Diskussion über die Notwendigkeit des Verkaufs der Karlskaserne für angemessen, denke aber, dass weder für das Haus zum Herzog noch die angesprochenen Modehäuser oder bei der Sportarena eine städtebauliche Notwendigkeit bestand, die Immobilie zu erwerben. Wenn jedoch einer der Standorte der großen Warenhäuser zur Disposition stehen sollte, hielte ich eine ernsthafte Prüfung des Ankaufs durch die Stadt für städtebaulich geboten.

Kultur Joker: Damit wären wir bei der Frage, welche neuen Innenstadt-Nutzungen künftig wünschenswert sind. Manche Kommunen prognostizieren die „Innenstadt ohne Einzelhandel“.

Jerusalem: Eine Innenstadt ohne Einzelhandel will und kann ich mir nicht vorstellen. In der Tat hat die Stadt Bochum eine „Vision Innenstadt 2030“ erarbeitet, welche zusätzlichen Nutzungen außer Einzelhandel die Innenstadt bereichern, und kam zu interessanten Erkenntnissen.

Kultur Joker: Hätten da auch Schulen, Kindergärten, Atelierhäuser oder eine Städtische Galerie Platz?

Jerusalem: Wir müssen bei den Vorstellungen zu Nutzungen in der Innenstadt deutlich offener und kreativer werden. So hat sich Lübeck entschieden, in einem ehemaligen Warenhaus eine Schule im Zentrum anzusiedeln. Bochum möchte die Themen Urbane Produktion, Digitales Wissen und Wohnen in der City ausbauen. Und Freiburg? Hier möchte ich den Architekten und Stadtplaner Jan Gehl zitieren: „Die Stadt muss sein wie eine gute Party. Man will nur kurz vorbeischauen und bleibt doch länger als man geplant hat“.

Kultur Joker: Sie planen ein Kolloquium zum Thema, das im Januar 2022 stattfinden soll. Warum nicht schon früher? Wer wird teilnehmen, was soll herauskommen?

Jerusalem: In der Tat haben wir bereits 2019 vorgeschlagen, mit einer Debatte den Blick über den Freiburger Tellerrand zu wagen und Erkenntnisse aus der bundesweiten Fachdiskussion nach Freiburg zu holen. Corona hat uns einen Strich durch die Planung gemacht. Ich gehe davon aus, dass uns Prof. Alain Thierstein von der TU München als Experte für Innenstadt-Entwicklungen mit seinen Hinweisen Impulse geben kann. Daneben würde ich gern Fachbüros wie „Stadt+Handel“ oder „Junker+Kruse“ einladen, die bundesweit Konzepte für die Entwicklung von Innenstädten erarbeiten. Zudem halte ich einen Bericht z.B. meines Bochumer Kollegen Eckard Kröck für die Freiburger Diskussion für wertvoll. Ziel der Veranstaltung soll es sein, den Weg zu einem Freiburger Innenstadt-Profil zu finden.

Kultur Joker: Lieber Herr Jerusalem, haben Sie Dank für das Gespräch.

Bildquellen

  • Dr. Roland Jerusalem: Foto: Stadtplanungsamt