Im Gespräch: Rafia Zakaria, Autorin, über Machtdynamiken eines weißen Feminismus‘

Feminismus muss nicht zwingend die Gleichberechtigung aller Menschen bedeuten. Wer solche Äußerungen ausschließlich rechten Männern zuschreibt, übersieht die Perspektive des kritischen nicht-weißen Feminismus. Die US-pakistanische Anwältin und Journalistin Rafia Zakaria beschreibt in ihrem Buch „Against White Feminism“, wie diskriminierend ein Feminismus wirken kann, der seine weißen Privilegien nicht kritisch reflektiert. Ihr Buch ist ein bisweilen schockierender Blick auf die Nähe des „weißen Feminismus“ zu Kapitalismus, Imperialismus und Kolonialismus. Fabian Lutz hat die Autorin, die am 26. März auch im Literaturhaus Freiburg zu Gast war, zum Gespräch getroffen.

UNIversalis: Sind alle weißen Feminist*innen zum„weißen Feminismus“ verdammt, wie Sie ihn in Ihrem Buch kritisieren?

Rafia Zakaria: Mit dem Begriff „weißer Feminismus“ möchte ich nicht aussagen, dass jede weiße Frau, die Feministin ist, eine weiße Feministin ist. Man kann auch nicht-weiß sein und die Haltung eines weißen Feminismus vertreten. Weißsein ist für mich eine Kategorie, die durch Privilegien gekennzeichnet ist. Weißsein verleiht Macht, andere zu dominieren. Menschen, die einen weißen Feminismus praktizieren, sind nicht bereit, die Konsequenzen zu reflektieren, die aus ihren Privilegien resultieren. Das betrifft sowohl gegenwärtige als auch historische Privilegien.

UNIversalis: Gibt es einen Ausweg aus dem weißen Feminismus, möglicherweise über die Reflexion dieser Privilegien?

Rafia Zakaria: Ich möchte mit meiner Arbeit eine Änderung im Denken von weißen und auch nicht-weißen Frauen bewirken. Ich will sie ermutigen, ihre eigene Teilhabe an diskriminierenden Machtstrukturen aber auch diskriminierendem Verhalten zu reflektieren und so die etablierten Normen herauszufordern, wie sie vor allem in weißen westlichen Gesellschaften vorherrschen. Diese kritische Perspektive brauchen wir für einen Feminismus, der möglichst viele Menschen miteinschließt, also inklusiv ist.

UNIversalis: In Ihrem Buch schreiben Sie über die Auseinandersetzungen zwischen weißen und nicht-weißen Feminist*innen. Immer wenn der weiße Feminismus kritisiert wird, werden deren Vertreter*innen aggressiv oder ignorieren ihre nicht-weißen Gegenüber. Warum diese harschen Reaktionen? Sind Feminist*innen nicht generell liberale, weltoffene Menschen?

Rafia Zakaria: Lassen Sie mich zunächst mit einem Beispiel antworten. Bei einer von Annalena Baerbocks Auslandsreisen wurde ein Foto gemacht, das die Außenpolitikerin dabei zeigt, wie sie sich zu nicht-weißen Kindern niederbeugt und Dinge verteilt. Weiße Frauen sehen in dieser Darstellung oft kein Problem. Bei mir als nicht-weiße Frau löst das Bild unangenehme Gefühle aus. Ich sehe auf diesem Bild die problematische Inszenierung einer weißen Frau, die nicht-weiße Menschen rettet. Ein solches Selbstbild ist elementar für den weißen Feminismus.

UNIversalis: Für mich klingt Ihre Kritik eingängig. Warum dennoch die ablehnende Reaktion gerade weißer Feminist*innen?

Rafia Zakaria: Die harsche Reaktion weißer Frauen auf eine Kritik an solchen Bildern basiert meiner Beobachtung nach auf zwei Dingen: Erstens sehen sich weiße Frauen selbst als Betroffene von Machtstrukturen, die sie ausschließen. Diesen Frauen fällt es schwer, die Kritik anzunehmen, sie selbst seien Teil von Machtstrukturen, die wiederum nicht-weiße Frauen ausschließen. Der zweite Grund liegt in einem kapitalistischen Denken, das nur individuellen Erfolg als Erfolg akzeptiert. Nach diesem Denken können Bewegungen, die auf einen gemeinsamen kollektiven Erfolg verweisen nur schwer akzeptiert werden.

UNIversalis: Und eine solche Bewegung wünschen Sie sich?

Rafia Zakaria: Ja, ich wünsche mir den Feminismus als inklusive Bewegung. Ich glaube an einen universellen Feminismus, auf den sich alle Menschen einigen können und den sie als Basis nutzen können, um sich global in Bewegungen zu engagieren.

UNIversalis: Ihr Buch arbeitet nicht nur detailliert die Probleme historischer wie gegenwärtiger feministischer Repräsentation heraus, sondern bringt auch Ihre persönlichen Erlebnisse als nicht-weiße Frau mit ein. Welchen Stellwert haben diese für Sie?

Rafia Zakaria: Wenn Menschen, die nicht von weißen Privilegien profitieren, kein Raum zur Aussprache eingeräumt wird, wird man diese Problematiken innerhalb von Machtstrukturen nicht erkennen. Genau deshalb integriere ich auch meine persönlichen Erfahrungen in das Buch – damit Menschen sehen, wie sich diese Machtstrukturen auf nicht-weiße Menschen konkret auswirken.

UNIversalis: Gehen wir mit Ihrem Buch etwas tiefer in die Geschichte des weißen Feminismus zurück, gelangen wir schnell zur Verbindung von Feminismus und Kolonialismus. Britische Frauen fanden etwa in den Kolonien plötzlich zur Emanzipation, natürlich auf Kosten der kolonisierten Völker. Sie erzählen mit Getrude Bell von einer dieser historischen weißen Feministinnen.

Rafia Zakaria: Getrude Bell war eine gut vernetzte Aristokratin der britischen Gesellschaft. Bekannt ist sie für ihre Reisen und Abenteurer, aber auch für ihre tragende Rolle als Vermittlerin in diplomatischen Angelegenheiten. Bei ihrem Aufenthalt in Jerusalem, zu ihrer Zeit ein britisches Protektorat, schreibt sie, dass sie an diesem Ort endlich eine Person sei. In der weißen britischen Gesellschaft waren Frauen den Männern immer ungeordnet. Innerhalb der Kolonie ist Getrude Bell zwar weiterhin eine Frau, als weiße Frau aber über alle nicht-weißen Menschen jeden Geschlechts gestellt. Darüber, dass Getrude Bell auf ihrer Reise ein weißes Privileg genießen konnte, wird bis heute nicht viel gesprochen. Dabei waren viele Fortschritte, die britische Frauen erzielten, durch den britischen Imperialismus bedingt. Britische Frauen, die in die Kolonien gingen, konnten ihr weißes Privileg genießen und es sich zunutze machen.

UNIversalis: Für mich war diese Verbindung tatsächlich neu. Wie haben Ihre Lesenden auf diese kritische Auseinandersetzung mit einer weißen feministischen Geschichtsschreibung reagiert?

Rafia Zakaria: Ich hatte gehofft, dass zumindest dieser Abschnitt meines Buchs nicht so kontrovers aufgenommen würde. Kolonialismuskritische Ansätze sind im akademischen Diskurs nicht ungewöhnlich. Aber oh, mein Gott. (lacht) Ich musste erleben, dass dieser kritische Blick gerade für Brit*innen immer noch sehr kontrovers ist. Im akademischen Bereich wird mein Ansatz einer Neuerzählung der Geschichte einigermaßen akzeptiert, aber kaum dass ich ihn in die öffentliche Debatte bringe, treffe ich auf starken Widerstand. Gerade, weil ich mich gegen historische Figuren wende, die als Held*innen verehrt werden.

UNIversalis: Großbritannien sieht sich mittlerweile als Commonwealth of Nations. Statt Aggression und Eroberung stehen nun Mitgefühl und Unterstützung ehemaliger Kolonien und ihrer Bewohner*innen an. Mich wundert nach Ihren Ausführungen nicht, dass Sie in Ihrem Buch hier und in vielen anderen Bereichen rassistische Kontinuitäten sehen, gerade was die Sorge weißer Menschen gegenüber nicht-weißen Menschen betrifft.

Rafia Zakaria: Zunächst muss ich betonen, dass ich weißen Menschen ihr ehrliches Mitgefühl für nicht-weiße Menschen nicht absprechen will. Mir geht es in meiner Arbeit vielmehr darum, die dem zugrundeliegenden Machtstrukturen zu untersuchen, gerade solche, die oft als unpolitisch bewertet werden. Zu reisen, um zu helfen, ins Ausland zu gehen, um in einem nepalesischen Waisenhaus zu arbeiten – solche Fälle sind Beispiele für die Selbstdarstellungen weißer Helfer*innen, die vor allem von ihrem Erstaunen über die Bedürftigkeit nicht-weißer Menschen erzählen. In meinen Augen übersehen solche Darstellungen die Machtdynamiken, die diesen Interaktionen zugrunde liegen. Diese Machtdynamiken möchte ich offenlegen.

UNIversalis: Wie radikal muss eine solche Offenlegung sein – und geht sie mit einer direkten Zerschlagung dieser Dynamiken einher?

Rafia Zakaria: Mir geht es zunächst nicht darum, diese Interaktionen zu verbieten, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass dabei Ungleichheiten bestehen. Indem wir die Machtdynamiken sichtbar und formulierbar machen, können wir sie auflösen oder es zumindest versuchen. Mir ist wichtig, hier nicht vehement „Nein“ zu sagen und defensiv zu werden. Ich will das Gute in den Menschen nicht verleugnen, sondern nur aufzeigen, dass sich dieses Gute auch in eine Sprache der Macht und des weißen Privilegs übersetzen lässt. Leider.

UNIversalis: Sie sprechen von einem Bedauern. Wie erschöpfend ist es, ein so kontroverses Buch zu schreiben – und wie befreiend?

Rafia Zakaria: Nicht-weiße Menschen empfinden oft eine große Erschöpfung dabei, sich immer wieder mit diesen Problematiken auseinanderzusetzen. Und Bücher, die versuchen, die Wahrnehmung und das Denken der Menschen zu ändern, bedeuten immer Risiken.Es war tatsächlich anstrengend, das Buch herauszubringen, angesichts der negativen Reaktionen und angesichts der Versuche einiger Menschen, das Buch niederzumachen oder zu ignorieren. Gleichzeitig bekomme ich viele Briefe und Komplimente. Die Menschen, die mein Buch verstanden haben, mochten es und stellten sehr vehement die wichtige Rolle heraus, die es spielt. Dafür bin ich sehr dankbar. Auch bin ich dankbar dafür, dass es genügend Aufsehen erregt hat, um nun in vielen Bildungseinrichtungen auf der ganzen Welt gelesen zu werden. Ich hoffe, das wird die Basis dafür legen, dass wir diese Gespräche weiter führen werden und ein Wandel stattfinden kann.

UNIversalis: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch wurde in englischer Sprache geführt, Übersetzung ins Deutsche durch Fabian Lutz. Die Begriffe „weiß“ und „nicht-weiß“ dienen hier nicht der Beschreibung einer tatsächlichen Hautfarbe, sondern sollen als gemachte soziale, gesellschaftliche Konstrukte verstanden werden.
Rafia Zakaria: „Against White Feminism. Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert“, aus dem Englischen von Simoné Goldschmidt-Lechner, hanserblau 2022.

Bildquellen

  • Rafia Zakaria, 2019: Foto: Jeremy Hogan