Ewelina Marciniaks Inszenierung „Der Widerspenstigen Zähmung“ hatte seine zweite Premiere am Theater Freiburg

Das Theater ist ein Ort, auf dem viele Projektionen lasten. Und so ist es zu Beginn von Ewelina Marciniaks deutsch-polnischer Inszenierung „Der Widerspenstigen Zähmung“ ein bisschen wie bei der Bahn: man hat ein Ticket, aber null Ansprüche. Das Saallicht ist an, Thieß Brammer und Martin Hohner stehen in den Zuschauerreihen. Aufgrund von Schwierigkeiten verzögert sich der Beginn um ein paar Minuten, heißt es, man ist ungehalten, schließlich hat man Anspruch auf den reibungslosen Betriebsablauf. Er sei oft hier, fast täglich, sagt einer der beiden. Lachen aus dem Zuschauerraum. Und weiter: ist ja ein Lustspiel, dann soll es auch lustig sein. Aus dem anfänglichen Groll wächst Kumpanei zwischen den Zuschauer-Schauspielern. Und dies wird auch das vorherrschende Gefühl zwischen Petruchio und Lucencio sein, in deren Rollen Brammer und Hohner schlüpfen, sobald sie die Bühne betreten.
Warum also sind wir hier? Und anders als bei der Lockdown-Premiere im März 2020 ist das Große Haus des Theater Freiburg bei dieser zweiten Premiere (für die ein paar Umbesetzungen nötig waren) Anfang April 2023 voll. Weil wir einen Klassiker sehen wollen, eine Komödie? In einem seiner Beiträge für das Programmheft schreibt Jan Czaplinski, der auch für die Adaption des Shakespearestücks zuständig ist, er glaube nicht mehr an das Theater als Spiegel, der die Realität abbilde, an die lebensverändernde Kraft der Bühne. Und doch hat er einen Klassiker überschrieben als gäbe es keine zeitgenössischen Stücke über Gewalt gegen Frauen. Denn was hilft es, historische patriarchalische Zustände zu beklagen, wenn sie sich bis in die Gegenwart fortsetzen? Es ist nicht die einzige Frage, die die Vorstellung offen lässt.
Marciniaks Inszenierung bleibt im Rahmen, den das Renaissancestück vorgibt, doch setzt es lange ein nachdem der Vorhang gefallen ist. Dreißig Jahre später ist Petruchio (Thieß Brammer) tot und Katharinas Ehemartyrium damit beendet, die Vaterinstanz (Hartmut Stanke) sterbenskrank. Die beiden Schwestern stehen sich in einer von der Antike inspirierten Architekturfantasie samt Barberinischem Faun (Bühne: Grzegorz Layer) sowohl als junge als auch als ältere Frauen gegenüber. Die Weihnachtskarten, das einzige Lebenszeichen Katharinas in den Jahren, waren nichts anderes als ein Hilfeschrei als Akronym. Bianca konnte oder wollte ihn nicht entziffern. Es hagelt Vorwürfe, deren Wurzeln in der Konkurrenz der beiden Schwestern liegen. Mariniak belässt die Grundsituation: bevor die widerspenstige Katharina (Janna Horstmann) nicht verheiratet ist, darf Bianca (Lou Friedmann) nicht mit ihrem Lucencio (Martin Hohner) glücklich werden. Und hier kommt Petruchio (Thieß Brammer) ins Spiel. Er löst den Konflikt indem er sich auf den Kuhhandel einlässt und sich an die Zähmung macht. Es gibt Momente in dieser Inszenierung, in denen sich die beiden als Liebende begegnen könnten, als würden sie mit ihrer Kleidung alle gesellschaftlichen Rollenmuster ablegen. Doch es ist ja eine Zähmung und eine Zurichtung. Und wenn Petruchio Katharina die Sonne für den Mond und den Mond für die Sonne verkauft, stehen die beiden zwischen den Zuschauerreihen. Und das Publikum weiß ja, dass dies Theater ist, es aber in Wirklichkeit passiert.
Man kann dieses Unbehagen nicht wegschieben. Doch warum die Hinweise auf Ikonen feministischer Kunst wie Sylvia Plath und Martha Rosler, wenn man wie Jan Czaplinski nicht an die Kraft der Kunst glaubt. Es kracht oft im Gebälk dieser Inszenierung, nicht allein wegen der konstruierten Zeitebenen, die Inszenierung lädt sich überhaupt zu viel auf. Die Parts der älteren Schwestern Katharina (Alona Szostak) und Bianca (Anja Schweitzer) sind zwar so gar nicht lustig, aber die interessantesten dieses dreistündigen Abends, auch dann, wenn Schweitzer aus der Rolle fällt und für sich Rollen beansprucht, die gemäß und attraktiv sind. Wenn am Ende die vier generationsübergreifend in einer Punk-Session zu „Rebel Girls“ werden, den Text singen und die Haare fliegen lassen, ist von den Männern nichts zu sehen, es gibt aber Anlass zur Hoffnung.

Weitere Vorstellungen: 23. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus, Theater Freiburg.

Bildquellen

  • Anja Schweitzer und Alona Szostak: Foto: Birgit Hupfeld