Ein kleines Sachbuch geht dem Verhältnis des Menschen zum Töten nach – und liefert überraschende Erkenntnisse

Der Tod gehört zum Leben. Was aber, wenn das Töten ebenfalls zum Leben gehört? In ihrer lesenswerten Studie geht Annegret von Wietersheim Berufen nach, die durch das Töten anderer Lebewesen, Menschen und Tiere, geprägt sein können. Daraus entstehen spannende Portraits voller Widersprüche.
Noch ein Buch über das Töten? Braucht das nicht eine Rechtfertigung? Schließlich ist Krieg, nicht nur in der Ukraine, schließlich gibt es Mord überall auf der Welt. Vielleicht braucht es eine präzisere Fragestellung: Wie fühlt es sich an zu töten? Dieser Frage geht die Germanistin Annegret von Wietersheim in ihrem schmalen Buch „Tod – töten – tot. Wenn das Töten von Menschen oder Tieren zum Beruf gehört“ nach, das 2022 im kleinen, unabhängigen Berliner Verlag Neofelis erschien. Spannend macht ihre Abfassung, dass nicht nur die klassischen, problematischen Verdächtigen Thema sind, also Militär, Polizei, Schlächer:innen. Auch der Bereich Tiermedizin und sogar die Schäferei wird behandelt. Eine weitere Besonderheit ist der Zugang. Wietersheim erzählt nicht nur die Geschichte dieser Arbeitsfelder, zeigt Spannungen und Problematiken auf, sondern führt auch qualitative Interviews mit den Akteur:innen. Statt gruppensoziologischer Ansätze oder solche der Sozialpsychologie eröffnet das Buch teils sehr persönliche, intime Perspektiven. Eine Frage ist für die Autorin, eine pensionierte Gymnasiallehrerin, dabei prominent: Wie war es, das erste Wesen, ob Mensch oder Tier, zu töten?

Der einsame Henker

„Niemand, absolut niemand, kann darauf vorbereitet werden, wie es ist, in der Realität einen Menschen zu erschießen.“ (Ex-Bundeswehrsoldat Till Eckert zum Dienst an der Waffe im Interview mit der ZEIT am 24.03.2018) Wer in den von Wietersheim zitierten und selbst geführten Interviews geborene Killer oder institutionell verrohte Killermaschinen sucht, wird enttäuscht werden. Die Gesprächspartner:innen der Autorin wirken reflektiert, so professionell wie Menschen eben agieren, die berufsmäßig töten. Auch Wietersheims sachlich abgefasste Untersuchung genügt dem Maßstab wissenschaftlicher Untersuchungen, entsprechend dem Profil des seit 2011 bestehenden kulturwissenschaftlichen Neofelis-Verlags. Eher noch dringt die Nachdenklichkeit der Autorin durch das zusammengestellte Material. Ihre zu Beginn kurz geäußerte These, „dass der Tabubruch, den jede Tötung letztendlich beinhaltet, eine Spur in der Gefühlswelt des Tötenden hinterlässt“, weist auf die besondere Sensibilität, mit der sich die Autorin ihren Gegenübern nähert.
Besonders eindrücklich veranschaulicht Annegret von Wietersheim den Tabubruch schon im ersten Kapitel, dem einzigen Kapitel ohne eigene Interviews. Hier geht sie dem in Europa mittlerweile weitgehend historischen Henkersberuf nach. Das Tabu ist bereits im Berufsfeld selbst verankert. Der Henker (ein rein männlicher Beruf) gilt als Außenseiter der Gesellschaft, gibt seinen verfemten Beruf von einer Generation an die nächste. Auch Johann Reichart (1893–1972), der als „letzter deutscher Henker“ gilt, kommt aus einer Familie von Scharfrichtern und ist ein Einzelgänger. Seine Prahlereien im Beruf bringen ihm nur Ablehnung: „Überall, wo ich um eine Beschäftigung nachsuche, begegnet mir Eiseskälte.“ Die Frage der Autorin nach dem Gefühl während der ersten Hinrichtung hätte er wohl wenig prahlerisch beantwortet. Die Nacht vor seiner ersten Hinrichtung ist für ihn nach eigener Aussage so schlaflos wie die des zum Tode Verurteilten. Dennoch erhält Reicharts Tätigkeit bald maschinellen Charakter.
Der letzte Henker der DDR, Hermann Lorenz (1928–2001), spricht in einem Interview von 1991 von der Routine und dem Gefühl der Rechtmäßigkeit, das sich beim Töten langsam einstellt: „Später handelte es sich um eine Aufgabe, die ich erhalten hatte, danach habe ich mich gerichtet. Für Gefühle war da eigentlich nicht viel Platz.“ Schuldgefühle stellten sich – zunächst – nicht ein: „Mit dem Schuss war das für mich vorbei.“ Später soll Lorenz die Reue eingeholt haben. Johann Reichart war in die Bürokratie der Tötungsmaschine wohl besonders gut integriert. Zwischen 1924 und 1945 richtet er 3009 Menschen hin, 2805 allein in der NS-Zeit. Wie für viele Enttäuschte oder Außenseiter bietet das faschistische Regime neue Aufstiegsmöglichkeiten. Unter seinem neuen Dienstherrn Adolf Hitler richtet Reichart täglich bis zu 30 Menschen hin, nach eigener Aussage „Mörder, Gewaltverbrecher, Hochverräter und Volksschädlinge“. Darunter sind auch die Geschwister Scholl am 22. Februar 1943. Über Sophie Scholls gefasste Haltung während der Hinrichtung soll Reichart beeindruckt gewesen sein.
Auch wenn der Scharfrichter Reichart nach Ende des NS-Diktatur für die US-amerikanische Besatzungsmacht noch weitere 156 Todesurteile vollstreckt, kehrt die Verfemung seines Berufsfelds wieder. Die Familie des Nazihenkers wird ausgegrenzt. Sein Sohn begeht mit 23 Jahren Selbstmord. Reichart selbst stirbt vereinsamt. Wie Lorenz zeigt er am Lebensabend Reue: „Ich tät’s nie wieder.“
Bekannt ist Hannah Arendts berühmter Begriff der „Banalität des Bösen“. Die erschreckende Densensibilisierung gegenüber dem Mord an ausgegrenzten Personengruppen, gerade im Nationalsozialismus, liegt eine Normalisierung dieser Handlungen zugrunde. In Anlehnung an die Studie „Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer (2011) verweist Wietersheim auch auf die Unterdrückung der Todesängste der Soldaten während des Zweiten Weltkriegs. Töten und getötet werden ist selbstverständlich. Als der Krieg beendet ist, können die Heimkehrer, jenseits des militärischen Bedeutungsrahmens, jedoch nicht mehr über ihre Erlebnisse sprechen. Leerstellen in den Familiengeschichten sind die bis heute andauernde Folge.
Das soldatische Schweigen über das Töten ist auch in Wietersheims Studie auffallend. Das von ihr zitierte Interview mit Ex-Bundeswehrsoldat Till Eckert verrät nur, dass in seiner Ausbildung nie über die Gefühle während des Tötens gesprochen wurde. Dass es Spätfolgen gibt, dass hinter den Leerstellen Traumata entstehen, posttraumatische Belastungsstörungen, muss Wietersheim nicht detailliert ausführen. Ihre einzige Gesprächspartnerin im Militär ist eine 38-jährige Oberfeldärztin. Eine „Tötungserfahrung“, so nennt sie es selbst, hat sie noch nicht erlebt. Wietersheim notiert den Widerspruch aus medizinischem Heilungsauftrag und dem soldatischen Verteidigungsauftrag, den die Oberfeldärztin verkörpert.

Tötende Ärzt:innen

Der Bereich der Medizin ist an Widersprüchen nicht arm. Tabus sind an der Tagesordnung. Bezeichnet die Autorin bereits den polizeilichen Begriff des „finalen Rettungsschusses“ kritisch als Euphemismus, so stößt sie mit ihrem Ansatz, manche ärztlichen Handlungen als Tötungen zu definieren auf klare Gegenreaktionen einiger befragter Mediziner:innen. Der Begriff der „Tötung“ greift nach Wietersheim sowohl für die „Abtreibung“ als auch für die „Sterbehilfe“. Dass der Zugang der Autorin hier ein Tabu trifft, ist nachvollziehbar. Nicht zuletzt, da sie auch ärztliches Handeln im 20. Jahrhundert und global mit in ihre Untersuchung miteinbezieht. Dass Ärzt:innen in der NS-Diktatur vielfach bewusst getötet haben und noch heute in den USA die Todesstrafe unterstützen, stellt sie deutlich heraus. Wietersheim beharrliches Insistieren auf das Tabu des Tötens im ärztlichen Kontext gibt grundsätzlichen Fragestellungen Raum. Problemlos hätte man hier eine umfangreichere Arbeit anschließen können, ebenso den Abdruck eines vollen Interviews mit einer der protestierenden Ärzt:innen. Wietersheim belässt es jedoch bei kurzen Verweisen, geht dafür den rechtlichen Diffusitäten rund um aktive und passive Sterbehilfe präzise bis in die Gesetzgebung nach.
Angesichts eines Schwangerschaftsabbruchs weist eine 23-jährige, befragte Ärztin auf den Widerspruch zwischen Heilungsauftrag und Beendigung des Lebens hin. Die befragte Person empfand die Abtreibung eines Embryos als „falsch“. Schließlich verließ sie die Klinik, in der solche Operationen durchgeführt werden. Wietersheim weist darauf hin, dass sich manche Ärzt:innen auch angesichts der Bedrohung durch Abtreibungsgegner:innen davor fürchten, Abtreibungen vorzunehmen. Auch aufgrund der hochumstrittenen Verortung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafrecht ist das Thema tabuisiert.
Eine interviewte Ärztin aus der Frauenrechtsbewegung der 70er-Jahre sieht sich mit ihren durchgeführten Abtreibungen als Unterstützerin der unfreiwillig schwangeren Patientinnen. Schuldgefühle habe sie deshalb nicht. Eine interviewte Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe sieht die Abtreibungshilfe nach individueller Beratung als mögliches Mittel. Angesichts der ersten Abtreibung, die sie als junge Ärztin durchführte, gilt für sie (in den Worten Wietersheims): „Es war die Entscheidung für ein ungelebtes, aber gegen ein ungeliebtes Leben.“ Eine Abtreibung aus „Termin- bzw. Lifestyle-Gründen“ hingegen hat sie bereits abgelehnt und an ihren Chef abgegeben.

Euthanasie und Skrupel

Das griechische Lehnwort „Euthanasie“ suggeriert einen schönen Tod, zumindest im wörtlichen Sinne. Mittlerweile gilt es als hochproblematischer Euphemismus, gerade vor dem Hintergrund seiner Verwendung im Nationalsozialismus. Lesende von Wietersheims Studie finden den Begriff nicht nur im historischen Kontext, sondern auch im Kontext der Veterinärmedizin. „Schläfern“ (ein weiterer Euphemismus) Veterinär:innen ein Tier ein, so wird dafür bis heute der Begriff „Euthanasie“ verwendet. Die problematische Begriffsgeschichte der „Euthanasie“ scheint, so merkt die Autorin kritisch an, „im Veterinärwesen keine besonderen Erinnerungsspuren hinterlassen zu haben.“ Ebenfalls beachtenswert wie auch weitgehend bekannt ist der variierende Umgang mit Nutztieren und Haustieren. Kommt das eine zerhackt auf den Teller, wird das andere liebevoll in die Arme geschlossen. Auch Wietersheim trägt dieser Trennung Rechnung. Tierärzt:innen, Schlächter:innen und Jäger:innen erhalten jeweils eigene Untersuchungskapitel.
Genug Kontroversen gibt jeder Beruf auch von sich aus her. So zeigt Wietersheim, die komplexe Position von Tierärzt:innen auf, die einerseits Dienstleistende für Tierbesitzer:innen sind, andererseits juristisch verpflichtet sind, dass ein „Wirbeltier“ nicht „ohne vernünftigen Grund“ getötet wird. Ob nun aber die Besitzenden einsehen, dass eine schwere Erkrankung Grund genug ist, ihr geliebtes Tier einzuschläfern, bleibt fraglich. Die Frage nach den psychischen Folgen eines Berufs, bei dem die Tötung von Tieren zum Alltag gehört, führt Wietersheim zu einer Studie des amerikanischen Fachblatts „Journal of the American Veterinary Medical Association“ von 2019, nach der eine hohe Suizidrate unter amerikanischen Tierärzt:innen konstatiert wird. Besonders Frauen in diesem Beruf seien 3,5-mal so gefährdet wie die Durchschnittsbevölkerung und auch gefährdeter als Humanmediziner:innen.
Eine große Anspannung empfand auch eine der interviewten Tierärztinnen bei der ersten Einschläferung eines Pferdes. Anwesend waren auch die jungen, emotional überforderten Kinder der Besitzerin. Sie wollte die Tötung vor ihren Kindern eben nicht tabuisieren. Als die Tierärztin das Medikament unter großem Stress eingeführt hatte, war sie schließlich vor allem erleichtert, dem Tier einen „friedlichen Tod“ ermöglicht zu haben. Nach vielen Erfahrungen steht für die Ärztin nun die Sterbebegleitung im Fokus. Dabei kehrt sie ihre große Sensibilität im Umgang mit den Tieren heraus: „Der Tod eines Pferdes tut ihr auch nach einer langen Berufszeit jedes Mal wieder leid und der Augenblick des Sterbens eines Lebewesens ist für sie immer beeindruckend geblieben.“ Sie sei dennoch froh, mit ihrer Behandlung „langes, nicht zu behebendes Leiden abzukürzen“. Weitere interviewte Tierärzt:innen berichten von Einschläferungen, die für sie erschreckend gewesen waren und die auch Schuldgefühle bei ihnen geweckt hatten. Ein Arzt benötigte für ein altes Pferd eine besonders große Menge des tödlichen Medikaments, weil dessen alte Blutbahnen kaum mehr funktionierten. Erst nach einer Stunde starb das Pferd schließlich.

Schuss aus der Distanz

Ein interessanter Befund: In einem Berufsfeld, das den Begriff „Euthanasie“ bedenkenlos zur Bezeichnung der Tötungsvorgänge nimmt, wird der Schrecken am Töten kaum tabuisiert. Ganz anders die Situation in Großschlachthöfen. Hier findet die Autorin keine Gesprächspartner:innen. Wohl will niemand über diese technisierte, automatisierte Form der Tiertötung sprechen, die an einem „Nicht-Ort“, „der Öffentlichkeit entzogen“ stattfindet. Gerade hier soll das Risiko, an traumatischen Störungen zu erkranken besonders hoch sein. Auch das Leid der Tiere im industrialisierten Tötungskomplex beschreibt die Autorin anschaulich. Aussagefreudiger sind Personen aus kleinen, teils familiären Schlachtbetrieben. Hier wird die Wertschätzung gegenüber dem Tier zur Sprache gebracht. Ein Metzger stellt mit einem sogenannten „Weideschuss“ ein besonderes Tötungsverfahren vor. Dabei wird das Rind per Schuss vom Hochsitz aus noch auf der Weide getötet. Mensch und Tier sollen sich mittels der so hergestellten Distanz „in einer Art Schutzzone“ befinden. Nicht nur werde so der „Intimbereich“ des Tieres gewahrt, auch der Schlachter müsse dem zu tötenden Tier nicht in die Augen schauen.
Was für eine „Spur“ bleibt nun also „in der Gefühlswelt des Tötenden“, um mit der anfänglichen These der Autorin zu fragen. In ihrem nachdenklichen, abwägenden Fazit kommt Annegret von Wietersheim zum Schluss, dass das Töten oft zu einer reflektierten Haltung führt, die „auf Kompromissen beruht und die Ambivalenzen toleriert.“ Dankbarkeit, als Polizist noch nie töten zu müssen, die nötige Distanz zum eigenen ärztlichen Selbstverständnis, um einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, die Freude darüber, das Leiden eines Tiers durch die emotional herausfordernde Einschläferung beendet zu haben. Neben Verdrängung oder Abstumpfung sind für Menschen, die töten, auch Umsicht und Abwägung wichtige Faktoren. Vielleicht macht die mutige Auseinandersetzung der Autorin mit tabuisierten Bereichen auch manchen Lesenden Mut, vergleichbare Ambivalenzen auszuhalten und differenziert über die Nähe des Menschen zum Töten zu sprechen.

„Tod – töten – tot. Wenn das Töten von Menschen oder Tieren zum Beruf gehört“, Neofelis 2022.

Bildquellen

  • „Tod – töten – tot. Wenn das Töten von Menschen oder Tieren zum Beruf gehört“,: Neofelis 2022.
  • Schützen oder töten? Eine Frage des menschlichen Selbstbilds: Foto: Pexels / Pixabay