Die Rathaushofspiele des Wallgraben Theaters feierten Premiere mit „Der eingebildet Kranke“

„Allegro Forte – für stille Orte“ steht auf dem riesigen Medikamentenkarton, über die Bühne des Wallgraben Theaters ergießt sich eine Tabletten-Schachtel-Welle, aus dem Off dröhnt deftige Toilettenspülung. Statt Prolog gibt´s zum Sound von „Spiel mir das Lied vom Tod“ einen in blaues Licht getauchten Albtraum: Weißer Kittel, Zulderhaare, Flaschenboden-dicke Brille – mit wedelnder XXL-Klistierspritze dekliniert ein Frankensteinmäßiger Apotheker die Rechnung, während sein Patient verzweifelt mit dicken Kissen wirft.
Das fängt ja gut an und lässt hoffen – gehört Molières 1673 uraufgeführte Komödie „Der eingebildete Kranke“ doch zu den Klassikern unter den Boulevard-Klamotten – Story bekannt, X-Mal gesehen. Gastregisseur Andreas von Studnitz setzt in seiner 2022 in Singen erstmals gespielten Inszenierung auf Reduktion, schrille Charaktere und viel Slapstick. Dabei mixt er Alt mit Neu und fokussiert sich auf die töchterliche Selbstermächtigungs-Revolte gegen den alten, weißen Patriarchen. Das hat über neunzig Minuten lang Drive und macht Spaß. Prima Stoff also für die Openair-Rathaushofspiele.
Seinen Argan gibt Hans Poeschl als schwäbischen Grantler in Morgenrock und Wollsocken – ein schlampig-schluffiger Jammerlappen und Möchtegern-Schattenwerfer, der sich selbst ganz furchtbar leid tut, aber trotzdem im Minutentakt „Du hälsch jetzt dei Gosch!“ blökt. Seine Wut kriegt vor allem das pfiffig-resolute Hausmädchen Toinette (Sybille Denker) ab, denn die durchschaut alles und nimmt kein Blatt vor den Mund – und dann auch die Fäden in die Hand. Klar, geht’s wie im Original um Liebe und Intrigen, um Quacksalberei und Mummenschanz. Dank pointierter Dialoge und bizarrer Charaktere läuft die Sache aber nicht nur wie am Schnürchen, sondern bleibt auch überraschend.
Girlie-Tochter Angélique (Katharina Rauenbusch) mit Leo-Leggins und (ziemlich gestelztem) Ossi-Schwäbisch guckt zwar meistens wie ein Reh im Scheinwerferlicht, wird aber auf keinen Fall diesen unterbelichteten Knitterling Thomas heiraten, nur weil ihr „Baba“ einen Arzt als Schwiegersohn will. David Köhne zeigt schillerndes Körperspiel: Erst als schmieriger, schon ziemlich angetütelter Notar-Fettsack mit Adiletten, Sonnenbrille und Cap, dann als verstört-verkrampfter Nerd, der ganz unter der Fuchtel seines aufgeblasenen Vaters steht und abstruse Gedichte zum Besten gibt. Ein Verwandlungskünstler ist auch Michael Schmitter: Mal französisch-elegant parlierender Doktor mit Einstecktuch, dann cooler Hippie-Cowboy-Rocker, der seinen Bruder Argan gleich auf den Kopf zu fragt: „Wie lange willst du die Nummer eigentlich noch durchziehen?“.
Ganz raffiniertes Biest ist Iris Melamed als Argans zweite Ehefrau Beline, genannt „Butzele“ – da kann sie noch soviel „mon cochon“ säuseln, eine Natter im kirschroten Mini bleibt sie trotzdem. Sie weiß genau was sie will: Den Alten tot, sein Geld aus dem Safe und ihre Stieftöchter im Kloster. Zum Glück gibt’s noch das Wahre und Schöne: „I want to know what love is“ sprechsangen Angelique und ihr erwählter Cléant (mit Hipster-Dut und Handy: Christian Theil) im Liebesduett – das allerdings noch viel Luft nach oben hat und hier ziemlich schwach verpufft. Schade, ein paar Gesangseinlagen wären famos! Und auch Toinettes Berliner Arzt-Parodie bleibt hölzern und ist nicht wirklich lustig… Aber sonst passt wirklich alles für einen lustig-orginellen Theaterabend – Applaus, wie Argan am Ende schnoddert…

Bis 26. August. Wochentags im Theatersaal, an den Wochenenden (bei gutem Wetter) im Rathaus-Innenhof. Tickets: www.wallgraben-theater.com

Bildquellen

  • Hans Poeschl als Argan, Sybille Denker als Toinette: © Mathias Lauble