Die Streiche der Geister: „Spuk! Die Fotografien von Leif Geiges“ im Haus der Graphischen Sammlung

Prof. Bender bei der Auswertung der Aufnahmen um 1971

Ein deutsches Spukhaus ist eben auch dann noch sehr deutsch, wenn es spukt. Ausgerechnet ein Topf mit Sauerkraut fand sich 1947 in einem Haus in Vachendorf an einem Haken an der Wand. Niemand wusste, wie er dorthin gekommen war. Zwei Jahre später stellte der Freiburger Fotograf Leif Geiges die Begebenheit nach. Der Topf, randvoll mit Sauerkraut, ist in die Bildmitte gerückt. Eine Flüchtlingsfamilie lebte in der Wohnung, ein paar Monate zuvor war eine Familie im Nachbarort Lauter von unerklärlichen Phänomenen tyrannisiert worden. Schlüssel verschwanden auf unerklärliche Weise, Essen wurde angebissen und war voller grauer kurzer Haare, die Zöpfe einer Adoptivtochter der Familie fielen abgeschnitten herunter. Und ein harmloser Läufer verwandelte sich, als Frau S. alleine zuhause war, in eine Teppichschlange, die jeden Fakir glücklich gemacht hätte. Thomas Zipp ließ sich von den inszenierten Fotografien Leif Geiges‘ zu einer Farbaufnahme inspirieren, auf der man eine Frau in der Küche mit einem Teppich hantieren sieht.
„Spuk! Die Fotografien von Leif Geiges“ heißt die Ausstellung des Augustinermuseums, in der die Aufnahmen zu sehen sind. Dass sie überhaupt entstanden, verdankt sich eines besonderen Umstandes. Hans Bender, der 1950 das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene gründete, war an einer möglichst neutralen Darstellung seines Forschungsgegenstandes interessiert. Das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene hat die Ausstellung auch erarbeitet. Als Bender 1954 eine außerordentliche Professur erhielt, veränderte sich sein Schwerpunkt. Leif Geiges, der seit 1949 mit ihm zusammengearbeitet hatte, wandte sich Mitte des Jahrzehnts vermehrt der Reise- und Werbefotografie zu. Der Fotograf, der der Enkel des Glasmalers und Restaurators Fritz Geiges war, reiste mit Bender an die Orte des Spukgeschehens, oft mit dem Auftrag einer Bildreportage für ein Magazin. Wenn sie ankamen, waren Polizei und Pfarrer schon da. Dem Spuk versuchte man mit vereinten Kräften zu begegnen, selbst mit kriminalistischen Mitteln wie Höllensteinpulver und Klebestreifen. „Technik vertreibt böse Geister“, war Leif Geiges überzeugt.
Tatsächlich hatte es sich in der Geschichte der Fotografie meist umgekehrt verhalten. In den 1910er Jahren waren sogenannte Materialisationsphänomene auf Fotos Gegenstand der Spekulation. Viele stammen vom Münchner Arzt Albert von Schrenck-Notzing und sind auch im Ausstellungskatalog abgebildet. Merkwürdige Schleier sind auf den Aufnahmen zu erkennen, manchmal scheinen sie Münder von Medien zu entweichen, manchmal erkennt man auf ihnen Gesichter. Doch es gab auch Zeitgenossen, die sich über diese Art der Geisterfotografie lustig machten und schwebende Totenköpfe und Arme in die Fotos montierten. Bei jedem neuen Medium, Ähnliches passierte mit den akustischen Medien, wurde einerseits die Fehleranfälligkeit, andererseits die Möglichkeiten der Manipulation ausgetestet. In Leif Geiges Fotofallen wollte jedoch niemand tappen. Und so rekonstruierte er die Spukgeschichten mit retuschierten Fäden oder er zog für die zweiten Gesichter, die bösen Ahnungen oder die Träume eine weitere Bildebene ein.
Nicht nur die Literatur ist reich an Phänomenen des Ominösen, Praktiken, sie zu deuten, gehen bis auf die Antike zurück. Im ausgehenden 19. Jahrhundert befeuerten technische Neuerungen Okkultismus und Spiritismus. Bis in die späten 1940er Jahre gab es eine Kontinuität, gut möglich, dass die Menschen durch den Krieg und die Verdrängung ihrer Schuld am Nationalsozialismus besonders empfänglich für die Streiche der Geister waren. Bender jedenfalls bezog bei seinen Deutungen auch die jeweilige Familiensituation mit ein, insbesondere pubertierende Kinder waren ihm verdächtig. In den 1980er Jahren nahmen sich Anna und Bernhard Blume die Bildstrecken der Spukgeschichten vor, demolieren Möbel, lassen Objekte fliegen und dringen tief in die deutsche Mentalitätsgeschichte ein.

Spuk! Die Fotografien von Leif Geiges. Augustinermuseum, Haus der Graphischen Sammlung, Augustinerplatz, Freiburg. Di-So 10-17 Uhr, Fr 10-19 Uhr. Bis 26. September 2021.

Bildquellen

  • Prof. Bender bei der Auswertung der Aufnahmen um 1971: Foto: Städtische Museen Freiburg
  • Leif Geiges : „Kristallsehen“ um 1950: Foto: Städtische Museen Freiburg