Die Kunst und der Trost: Die Fondation Beyeler zeigt in einer breit angelegten Schau das Werk von Doris Salcedo

Doris Salcedo: „Untitled“, 1998, Holzschrank mit Glas, Beton, Stahl und Kleidung; Installationsansicht Pérez Art Museum, Miami, Florida, 2016 © Doris Salcedo Foto: David Heald

„Das Werk ist nicht von mir, es stammt von einem Kollektiv“, sagt Doris Salcedo. Man kann davon ausgehen, dass nicht jeder unbedingt Teil dieses Kollektivs sein möchte. Denn es ist ein Kollektiv in Geiselhaft. Nicht derjenigen der 1958 in Bogotá geborenen Künstlerin, sondern einer gewalttätigen Gesellschaft, der vor allem die Zivilbevölkerung zum Opfer fällt. Zwar gibt es seit 2016 einen Waffenstillstand zwischen der FARC und der Regierung, aber die Gemengelage aus Paramilitärs, Drogenkartellen, der ehemaligen Guerilla sowie der kolumbianischen Armee ist mörderisch. Und für jede Arbeit, die jetzt in Doris Salcedos Ausstellung in der Fondation Beyeler zu sehen ist, lässt sich ein Massaker, die Ermordung eines Menschen oder ein Übergriff benennen. Seit letztem Jahr ist ihre große Rauminstallation „Palimpsest“ in Riehen zu sehen, die die Namen von verunglückten Migranten auf dem Weg nach Europa an die Oberfläche bringt. Wasser macht die Schriftzüge sichtbar, die nach einer Weile wieder verschwinden. Man kann das Feld wie eine räumlich gewordene Erinnerung durchschreiten.
Das Fragile von „Palimpsest“ war eine gute Einstimmung auf die Ausstellung, die sich nun auf acht Räume ausbreitet. Jeder dieser Räume ist Bühne für einen Werkkomplex und hat eine sehr eigene Grundstimmung. „Untitled“ etwa entstand zwischen 1989 und 2014. Die einfachen Bettengestelle stehen auf dem Boden oder sind an die Wand gelehnt. Der Rost ist mit einer Art Gaze umwickelt, die sich auch über die um das Metall gewundenen Hemden zieht. Weitere einfache weiße Männerhemden sind gefaltet, aufeinander gestapelt und mit Beton ausgegossen, einzelne Metallstäbe sind durch sie durchgetrieben. Es sieht aus als seien es Körper, die hier durchstochen wurden. Tatsächlich bezieht sich die Arbeit auf zwei Massaker, die 1988 in der Nähe von zwei Bananenplantagen verübt wurden. Die Arbeiter und ihre Familien wurden nachts überrascht und erschossen. Man warf ihnen vor, die falsche Partei zu wählen.
Seit den 1990er Jahren recherchiert Doris Salcedo intensiv über die Opfer und wie sie zu Tode kamen bevor sie die erste Zeichnung macht. Ihre Arbeiten sind Angebote einer kollektiven Trauer und Erinnerung an die Getöteten. Dass sie dabei durchaus sehr ästhetisch sind und helfen sollen, Wunden zu heilen, die kaum zu heilen sind und der Gesellschaft das Angebot einer kollektiven Katharsis zu machen, ist ein inhärenter Widerspruch ihres Werkes. Wenn Teresa Margoles an die verschwundenen Menschen in Mexiko erinnert, ist das immer ein bisschen rauer und unbehaglicher. Salcedo, die in Bogotá und in New York Kunst studierte, geht es nicht um den Schock. Doch wer weiß schon, wie es sich anfühlt, in einer derart versehrten Gesellschaft zu leben?
Die Materialien, die Doris Salcedo verwendet, erinnern an die abwesenden Körper. Oft sind es Möbel. Zwischen 1989 und 2016 hat sie hölzerne Bettrahmen zusammen mit Stühlen und Schränken zu Arrangements verbunden und sie mit Beton ausgegossen. Armierungsgitter staken aus Stühlen und wirken wie Folterinstrumente. In manchen Schränken kann man noch Kleidungsstücke erkennen. In Riehen ist „Untitled“ zu einem beklemmenden Parcours gefügt, der zu einer körperlichen Erfahrung der Enge wird. In den 1990er Jahren hat Doris Salcedo Tische bearbeitet und sie mit Haaren und einer feinen Gaze aus Rohseide überzogen. Oft sind ihre Werke durch eine Geste des Zusammenfügens, des Kittens oder Zusammennähens gekennzeichnet. Als ließen sich die geschändeten und malträtierten Körper wieder heilen. Vor allem der Teppich aus Rosenblättern „A Flor de Piel“ aus den Jahren 2011 bis 2014 weist diese Ästhetik auf. Salcedos Werkstatt hat die Blütenblätter so behandelt, dass sie sich zu einer mehrere Meter langen und breiten Fläche vernähen ließen. Die Stiche mit dem schwarzen Garn ähneln denen, mit denen man Wunden vernäht – nicht zuletzt wohl, weil „A Flor de Piel“ an eine Krankenschwester erinnert, die unter Folter gestorben ist. Man kann darin vielleicht sogar so etwas wie Trost finden oder die Zustände in Kolumbien für untröstlich halten.

Doris Salcedo. Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Riehen/Basel. Täglich 10-18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, freitags bis 21 Uhr. Bis 17.09.2023

Bildquellen

  • Doris Salcedo: „Untitled“, 1998, Holzschrank mit Glas, Beton, Stahl und Kleidung; Installationsansicht Pérez Art Museum, Miami, Florida, 2016 © Doris Salcedo: Foto: David Heald
  • Doris Salcedo: „Palimpsest“, 2013–2017. Hydraulik, gemahlener Marmor, Harz, Korund, Sand und Wasser; Installationsansicht Fondation Beyeler, 2022 Courtesy of Doris Salcedo and White Cube © Doris Salcedo: Foto: Mark Niedermann