Die Waffe der Gewaltlosigkeit: Eine der größten Reden der demokratischen Geschichte

Es sollte ein heißer Sommertag werden, an dem sich vor genau 60 Jahren, am 28. August 1963, mehr als 250.000 Menschen auf der Mall im Regierungsviertel von Washington D.C. versammelten. Trotz der schwülen Hitze, den überlasteten Straßen und öffentlichen Verkehrsmitteln sind Bürgerrechtler:innen aus allen Staaten angereist, um beim „Marsch auf Washington für Freiheit und Jobs“ teilzunehmen und gemeinsam einen geschichtlichen Wendepunkte einzuläuten.

Er ist erst 34 Jahre jung, als der aus Atlanta stammende Baptistenprediger Martin Luther King an das Rednerpult auf den Stufen des Lincoln Memorial in Washington D.C. tritt. Vor ihm versammeln sich hunderttausende schwarze und weiße Amerikaner:innen, um gemeinsam für das grundlegendste der demokratischen Rechte einzustehen: die Unantastbarkeit der menschlichen Würde. Unter ihnen auch Prominente wie die Sängerin Mahalia Jackson, die an diesem Tag noch eine besondere Rolle spielen wird.
Kings Rede sollte die letzte sein. Vor ihm waren bereits etliche Redner:innen am Pult gestanden, das Publikum war ermüdet. Vor vielen der Teilnehmer:innen lag eine lange Heimreise und die Hitze tat ihren Rest. Wenig verwunderlich also, dass es bereits während Kings Rede unruhig im Publikum wurde. „Martin, erzähl ihnen von deinem Traum“, rief es plötzlich hinter ihm. Es war Mahalia Jackson, ohne deren Einwand die nächsten Szenen wohl niemals Geschichte geschrieben hätten, denn in Kings Redemanuskript stand nichts von einem Traum. So kam es dazu, dass Martin Luther King vor genau 60 Jahren von seiner Rede abwich und zu improvisieren begann. Als seine nächsten Worte erklangen, soll es laut Augenzeugen schlagartig still geworden sein. Beinahe so, als wüssten sie, dass sich in dieser Minute etwas verändern würde. „Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von früheren Sklaven und die Söhne von früheren Sklavenhaltern auf den roten Hügeln von Georgia am Tisch der Bruderschaft zusammensitzen können“, ertönte Kings voller und unverwechselbarer Bariton. Achtmal wiederholte er den Satz „I have a dream“. Statt den vorgesehenen vier Minuten Redezeit improvisierte King in satten 17 Minuten eine der wohl wichtigsten Reden der demokratischen Geschichte.

Wichtig auch deshalb, weil sich die Bürgerrechtsbewegung zu diesem Zeitpunkt an einem politischen Wendepunkt befand. Einer „moralischen Krise“, wie Präsident John F. Kennedy sagte, nachdem der Polizeichef der Stadt Birmingham im Bundesstaat Alabama Hunde auf die Demonstrierenden losließ und sie zu Hunderten einsperrte – auch Kinder wurden nicht verschont. Aus dieser Situation heraus organisierte der Sozialist und Bürgerrechtskämpfer A. Philip Randolph den Marsch auf die Hauptstadt, an dem in über 2000 Bussen, 21 Sonderzügen, zehn Charterflugzeugen und unzähligen Autos Gleichgesinnte anreisten, um einmal mehr zu zeigen, dass gewaltloser Protest in Zeiten des Konflikts die ganze Welt bewegen kann.

Bildquellen

  • Martin Luther King jr. bei einer Rede am 01. Januar 1960 in den USA: © imago/ZUMA/Keystone