Das Theater Freiburg zeigt mit der Faust II-Inszenierung von Krzysztof Garbaczewski virtuelle Welten

Bislang war noch zu jeder Zeit Goethes Faust II eine Zumutung der Unzeitgemäßheit. Es sind Welten, die hier erschaffen wurden, die gleichermaßen zukunftsweisend waren als auch geprägt durch das humanistische Erbe. Jede Generation muss sich da neu einen Weg bahnen. Und nicht wenige halten Faust II ja für ein reines Lesedrama. Auch Krzysztof Garbaczewski glaubt, Goethe habe das Stück nicht eigentlich geschrieben, um es aufführen zu lassen. Der 1983 geborene polnische Regisseur hat sich dennoch für das Theater Freiburg an eine Inszenierung gemacht und dabei einen Weg eingeschlagen, für den er sich seit gut fünf Jahren interessiert. Der Zuschauersaal im Großen Haus mag verwaist sein, dafür gesellen sich auf der Drehbühne Avatare zu den Darstellern (Thieß Brammer, Victor Calero, Laura Friedmann, Janna Horstmann, Stefanie Mrachacz, die diesen auch ihre Stimme leihen). Tragen sie VR-Brillen, bekommt man einen Eindruck davon, was jene Zuschauer mit VR-Equipment erleben.
Die Idee, Faust II als einen Hybrid zu zeigen, geht in die Vor-Corona-Zeit zurück. Doch natürlich hat die Pandemie bewirkt, dass virtuelle Erfahrungen derzeit unseren Alltag bestimmen. Insofern hat das letzte Jahr Garbaczewskis Umgang mit Avataren, Screens und Virtual Reality geradezu zu einem Allgemeingut werden lassen. Man darf sich also wie in einem Computerspiel vorkommen, wenn Faust (Thieß Brammer) sich der Wunderwelt der klassischen Walpurgisnacht gegenübersieht. Goethes Puppenspiel, mit dem seine Auseinandersetzung mit dem Faust-Stoff begann, erweist sich hier also als anschlussfähig. Wenn später Euphorion abstürzt, wird dies als Schattenspiel visualisiert. Ein bisschen wirkt dieser Faust mit seiner blonden Langhaarperücke und der Basecap wie ein Sinnsucher auf Droge, der sich nicht über das Nilpferdmaul, die Chimären dort und das blaue Gebirge im Hintergrund wundert. Reale Bühnenelemente und die Virtual Reality bilden – wenn keinen homogenen, so doch einen gemeinsamen – Erlebnisraum (Aleksandra Wasilkowska: Bühne, Kostüm, Licht). Das funktioniert insofern gut, als die extreme künstliche Ästhetik sich hier gegenseitig unterstützt. Und manchmal, insbesondere angesichts von Helenas Kostüm, das aus mehreren Fingern besteht, muss man auch an eine dreidimensionale Hieronymus Bosch-Welt denken. Vor einigen Jahren hat Krzysztof Garbaczewski eigens eine Firma gegründet, um die Vision eines erweiterten Theaterraums umzusetzen. Die Kamera führt er in seiner Inszenierung selbst.
Der Schwerpunkt seiner Fassung liegt auf dem Element der Reise, tatsächlich hat er bereits in Opole Homers Odyssee inszeniert. Der ökonomische Mummenschatz, in dem das Papiergeld erfunden wird, fällt also weg, dafür wird neben dem Faust-Helena-Euphorion-Komplex die Szene um Philemon und Baucis wichtiger. Die Vernichtung ihrer Idylle und ihre Ermordung werden zum Sinnbild des Primats der Wirtschaft und der menschlichen Hybris überhaupt. Man muss den Text kennen, um sich hier zurecht zu finden und auch zu verstehen, was Garbaczewski auslässt, doch insgesamt ist dies eine kleine Faust-Wunderkammer geworden.

Weitere Infos: www.theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Stefanie Mrachacz: Britt Schilling