Das Theater Basel zeigt in einer Inszenierung von Peter Kastenmüller, wie Alltag im Krieg aussehen kann

Das Leben geht weiter: darauf kann man sich immer verlassen. Vielleicht nicht das eigene oder das seiner Liebsten, doch Leben geht immer irgendwo weiter. Und wem es gerade aus den Fugen geraten ist, sehnt man sich mitunter nicht nach Paris oder auf die Malediven, sondern nach dem Alltag. Insbesondere wenn man jung ist und diesen zwischen Studium, frischem Verliebtsein und dem Abhängen mit Freunden erst ausbildet. Matwij zum Beispiel. Er studiert Filmwissenschaft, ist in Orysia verliebt und trifft sich mit seinen Kumpels zum Computerspielen. Doch das alles findet 2022 in Cherson statt. Natalia Blok lebte hier lange, bevor sie über Kiew nach Basel floh und auch Matwij, etwas jünger als ihr eigener Sohn Matwij ist in der ukrainischen Stadt geboren und aufgewachsen und tut sich nun schwer mit der Entscheidung, ob eine Flucht aus der von Russen besetzen Stadt möglich ist. „Das Leben ist unaufhaltsam“ heißt Bloks Stück, das von Peter Kastenmüller für die Kleine Bühne des Theater Basel inszeniert wurde. Anders als Matwij, der am Ende der 75-minütigen Aufführung noch immer in Cherson ist, steht Matwij Kushnar in Basel zusammen mit seinem Alter Ego Fabian Dämmich, Carina Braunschmidt sowie Elif Duygu Karci und Peter Knaack mit auf der Bühne.
Matwij ist zur Anlaufstelle für die Haustiere seiner Freunde geworden, die sich auf die Flucht machen. Ein Schuhkarton nach dem anderen wird ihm in die Hand gedrückt, der Tisch ist voll mit Zigarettenschachteln, die mit einer Handbewegung weggefegt werden. Darüber befindet sich eine Art Glocke, auf die die Videos projiziert werden und auch die durch Verfremdungsfilter zu Monstern verzerrten Gesichter. Links befindet sich eine gepolsterte Panzersperre als Sitzgelegenheit, rechts eine Sofaecke (Bühne und Kostüm: Alexander Wolf). Die Gemeinschaft ist solidarisch, aber fragil. Peter Knaack gibt den Freund der Mutter, der sich im Krieg bewährt, Elif Duygu Karci eine junge Frau, die frisch verliebt ist, aber ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder beistehen muss. Der Tante (Carina Braunschmidt) ist bereits die Flucht gelungen, sie trägt ein Kopftuch aus Luftpolsterfolie als müsste sie sich gegen die Außenwelt wappnen.
Die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation ist bei diesem Theaterabend schmal­. Man sieht Filmmaterial aus dem Krieg, die Menschen sind verfremdete Schemen, doch das Z, das für diesen Angriffskrieg steht, ist deutlich zu erkennen. Cherson wurde früh besetzt und an dieser mittelgroßen Stadt zeigte sich schnell, dass die Zivilbevölkerung zermürbt werden sollte, durch Verhaftungen, Folter, Vergewaltigungen, Tötungen, Minen und die Zerstörung der Infrastruktur. Auf den Bildern sieht man auch Matwijs jüngeres Ich, wie es im Bad sein Spiegelbild betrachtet und aus dem Fenster raucht. In Basel sitzt Matwij Kushnar an einem Tisch mit einem Energydrink, er raucht und schaut unter einem Ponyvorhang hervor, gibt Anweisungen und trifft sich mit seinem Bühnen-Ich zum Kriegspielen am Computer. Fiktion und Dokumentation ist nichts, was Peter Kastenmüller sauber voneinander trennen wollte oder könnte, zumal Russland ja immer noch Krieg gegen die Ukraine führt. Entsprechend offen ist das Ende des Stückes, das in Kapitel mit Titeln wie „Heroes“, „Exil“ und „Liebe“ untergliedert ist. Wer es klar haben möchte, überfordert die Gegenwart, man muss hier Ambivalenzen aushalten: dass nicht jeder, der die Russen hasst, gegen sie mit Waffen kämpft, sondern eben auch mit einer Kamera und dass man auch Witze im Krieg machen kann. Wer aus dem Publikum, das in der Kleinen Bühne zwar nie bequem, aber sicher sitzt, wollte das beurteilen? Und so gibt „Das Leben ist unaufhaltsam“ einen Einblick, wohin einen die Zeitläufte werfen können, zugleich ist es ein Akt künstlerischer Selbsterhaltung im Exil.

Weitere Vorstellung: 29. Dezember, Kleine Bühne, Theater Basel. Mit ukrainischen Untertiteln. www.theater-basel.ch/de

Bildquellen

  • Uraufführung von „Das Leben ist unaufhaltsam“: © Lucia Hunziker