Zum Saisonstart: Peter Carp inszeniert Tschaikowskys Eugen Onegin am Theater Freiburg

Der Himmel so weit

Bei Tschechow ist es der Kirschgarten, der in der russischen Provinz die schwere Melancholie ein wenig aufhellt. In Tschaikowskys „Eugen Onegin“ fällt der Blick im Freiburger Theater gleich zu Beginn auf einen hellblauen, leicht bewölkten Himmel, der die unerfüllten Sehnsüchte der Figuren spiegelt.

Für Peter Carp ist dieses Kammerspiel um eine unerfüllte Liebe, diese Milieustudie aus dem zaristischen Russland nach dem Versroman von Alexander Puschkin erst die zweite Operninszenierung überhaupt.

Der Freiburger Intendant, der „Eugen Onegin“ in das Eröffnungswochenende seiner zweiten Spielzeit platziert hat, gibt Tschaikowskys „lyrischen Szenen“ genügend Raum (Bühne: Kaspar Zwimpfer, Kostüme: Gabriele Rupprecht). Sensibel gestaltet er Übergänge und findet atmosphärisch starke Bilder. Vor allem aber ist seine klare Personenführung nah an der Musik.

Arien bereitet er szenisch vor. Psychologische Genauigkeit und Authentizität prägen seine Figurenzeichnung wie im zweiten Akt, wenn Eifersucht die Freundschaft zwischen Eugen Onegin und Lenski zerstört und aus entspannter Partystimmung (ein echter Farbtupfer: Roberto Gionfriddo als Triquet) ein tödliches Duell wird.

Der Gutshof von Larina (solide, aber etwas farblos: Satik Tumyan) hat schon bessere Zeiten erlebt. Ein größerer Holzschuppen ist der Schauplatz des Liebesdramas, das folkloristisch-derb beginnt. Die Amme Filipjewna (berührend in ihrer Mischung aus Grobschlächtigkeit und Empathie: Anja Jung) wischt nicht den Tisch, sondern säubert das Gewehr. Beim Dorftanz geht es rustikal zu – die Übergänge zwischen Flirt und Belästigung sind fließend.

Das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Leitung von Generalmusikdirektor Fabrice Bollon lässt den Walzer immer schneller drehen, wobei in der Premiere die Koordination zwischen Chor (Einstudierung: Norbert Kleinschmidt) und Orchester hier und auch einigen anderen markanten Stellen aus dem Lot gerät. Überhaupt hinterlässt die musikalische Interpretation einen zwiespältigen Eindruck.

Zwar spielt sich der Klangkörper nach nervösem Beginn etwas frei und findet auch über weite Strecken zu einer Dringlichkeit im Ausdruck, aber es bleiben zu viele Unzulänglichkeiten. Celli und Kontrabässe geraten intonatorisch immer wieder aus der Spur. Die Holzbläser sind kaum im Streicherklang gebunden, so dass die ganz unterschiedlich präsenten Soli meist in der Luft hängen. Offen liegende Anfänge und Schlüsse fransen aus – der Erzählton verliert so an suggestiver Kraft.

Peter Carp zeigt die Geschichte ganz aus der Perspektive von Tatjana. Sie ist schon beim Vorspiel im Andante con moto auf der Bühne, wenn Tschaikowsky vom ersten Takt einen ganz persönlichen, schwermütigen Ton anschlägt. Die französische Sopranistin Solen Mainguené, Ensemblemitglied im zweiten Jahr, verkörpert Tatjana mit jeder Faser ihrer Stimme und ihres Körpers.

Das scheue, sich hinter seinen Büchern versteckende Mädchen erwacht nach der Begegnung mit dem arroganten, weltmännischen Eugen Onegin. Für die berühmte Briefszene klappt eine weiße Box auf, die an eine Isolationszelle in der Psychiatrie erinnert. In diesem Schutzraum, in den ihr Brief projiziert ist, flüchtet sich die schreibende Tatjana, wälzt sich am Boden, entdeckt ihre Sexualität. Die Zurückweisung von Eugen Onegin kommt unerwartet und ungeschützt. Mainguené kann ihren perfekt geführten, gerade im Leisen ausdrucksstarken Sopran dramatisch härten, um die Erschütterungen dieser Enttäuschten hörbar zu machen.

Ganz am Ende, als diese veränderte Tatjana als Fürstengattin nochmals auf den um sie werbenden Onegin trifft, kehren bei ihr die verloren geglaubten Gefühle zurück – erst hier lässt die Regie den Emotionen freien Lauf. In dieser großstädtischen Wohnung, die einer Kunstgalerie gleicht, ist ihr Heimatdorf nur noch auf gerahmten Fotos an der Wand zu sehen. Eine nostalgische Erinnerung, nicht mehr. Tatjana im schicken blauen Kostüm ist der Provinz entkommen. Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Ihrem Gatten Gremin (mit mächtigem, aber etwas belegtem Bass: Jin Seok Lee) hält Tatjana die Treue.

Eugen Onegin, den Michael Borth mit Noblesse und Geschmeidigkeit versieht, bleibt alleine zurück als gescheiterte Existenz. Lenski (mit feinem, differenzierten Tenor, dem es noch etwas an Strahlkraft fehlt: Joshua Kohl) hat er im Duell getötet. Auch Olgas kurzes Glück (mit schlankem Mezzo: Inga Schäfer) ist dadurch zerstört. Selbst den weiten Himmel sucht man nun mehr vergeblich.

Was: Oper: „Eugen Onegin“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky
Wann: 3./23. November, 7./16./21. Dezember, 20. Januar 2019, 9./20. Februar 2019.
Wo: Theater Freiburg, Großes Haus, Bertoldstr. 46, 79098 Freiburg
Web: www.theater.freiburg.de

Bildquellen

  • kultur_joker_theater_freiburg_tschaikowsky_eugen_onegin_solen_mainguene_michael_both_tanja_dorendorf_tt_fotografie: Tanja Dorendorf // T+T Fotogrfie