Prof. em. Dr. Peter Finke, Wissenschaftstheorie und Kulturökologie (Universität Bielefeld) im Gespräch

„Wir sind noch keine Wissensgesellschaft“

Im Gespräch: Peter Finke
Prof. em. Dr. Peter Finke

Viele tragen dazu bei, ohne dass es ihnen bewusst wäre – Citizen Science, auch Bürgerwissenschaft genannt, trifft offenbar den Nerv unserer Zeit: Längst ist die Energiewende Sache der Bürger; Hobby-Archäologen legen das Grabmal des Poblicius, den bedeutendsten römischen Fund jenseits der nördlichen Alpen, frei; ein Imker kämpft für gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft und gewinnt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Gentechnikriesen Monsanto.
Nun widmet sich am 11. Oktober, ab 10 Uhr unter dem Titel „Befreiung aus dem Elfenbeinturm“ eine Tagung in der Katholischen Akademie Freiburg diesem Thema. Unter den Referenten befindet sich Prof. Peter Finke, dessen neuestes Buch „Citizen Science – das unterschätzte Wissen der Laien“ kürzlich im Oekom Verlag erschien und seitdem große Aufmerksamkeit erregt. Friederike Zimmermann sprach mit ihm darüber, wie Laien, Experten und professionelle Wissenschaftler künftig besser kooperieren könnten, um eine handlungsfähige Wissensgesellschaft zu werden und gemeinsam eine zukunftsfähige Welt zu gestalten.

Kultur Joker: Herr Professor Finke, was bedeutet „Citizen Science“ und worin bestehen die Unterschiede zur akademischen Wissenschaft?
Peter Finke: Bürgerwissenschaftler (Citizen Scientists) forschen ehrenamtlich, das heißt ohne Stelle, also folglich auch ohne Bezahlung und lediglich aus ihrem starkem Interesse heraus. Auf diese Weise können sie überaus sachkundig werden. Woher sie ihr Wissen haben, spielt dabei keine Rolle. Demgegenüber wird die Professional Science von bezahlten Berufswissenschaftlern betrieben. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied.
Kultur Joker: Beide folgen also einer anderen Motivation?
Peter Finke: Genau, zwar interessieren sich natürlich auch Berufswissenschaftler für ihren Forschungsbereich, doch ist das nicht unbedingt ihr Hauptmotiv. Sie haben einen Vertrag unterschrieben, in dem Aufgabengebiet und Bezahlung genau festgelegt sind. Das ist natürlich eine andere Antriebsfeder als bei den Bürgerwissenschaftlern, die dafür nicht bezahlt werden. Viele Menschen interessieren sich neben ihrem Beruf für andere Fachrichtungen oder stecken in ihre Hobbies viel Zeit und Geld, etwa manche Hobby-Aquarianer oder -Ornithologen. Doch kann man deshalb nicht sagen, Bürgerwissenschaftler seien reine Hobbywissenschaftler. Vielmehr kann Citizen Science als Hobby beginnen, um dann in bürgerwissenschaftliches Engagement überzugehen.
Kultur Joker: Demnach muss nicht unbedingt ein öffentliches Interesse hinter bürgerwissenschaftlichem Engagement stehen?
Peter Finke: Man kann natürlich privat Wissenschaft betreiben, die zugleich von öffentlichem Interesse ist. In jedem Falle geht es um eine persönliche Motivation. Und wenn sie stark ist, tut man alles dafür. Ob man dadurch automatisch ein guter Wissenschaftler wird, ist eine andere Frage, auch bei den Profis.
Kultur Joker: Ich habe das Gefühl, dass – wenn man mal von „Stuttgart 21“ absieht – die allgemeine Motivation in den 80ern viel stärker war als heute. Brauchen wir eine neue Aufklärung?
Peter Finke: Ich glaube nicht, dass man allgemein von einem Rückgang bürgerschaftlichen Engagements sprechen kann. Denken Sie an die vielen Leute, die sich im Naturschutz engagieren. Das wird vielleicht nicht so wahrgenommen wie das Engagement etwa für die Anti-Atomkraft-Bewegung, gegenüber welcher manches andere derzeit weniger relevant erscheint. Doch wenn Sie nach Aufklärung fragen: Angesichts der Bedeutung von Schlagworten wie „Markt“ oder „Wachstum“ oder „Fortschritt“ denke ich schon, dass wir da einen neuen Anlauf zu weiterer Aufklärung brauchen und mit der Bürgerwissenschaft auch unternehmen.
Kultur Joker: In Ihrem Buch plädieren Sie dafür, das Wissen der Laien höher zu respektieren und in den Wissenschaftsbetrieb zu integrieren. Warum ist das so wichtig?
Peter Finke: Es geht in der Tat darum, das Wissen der Laien mehr als bisher zu respektieren, jedoch nicht darum, Citizen Science in den Wissenschaftsbetrieb zu integrieren. Man sollte sie vielmehr als einen Teil der Wissenschaft wahrnehmen, auch wenn dieser nicht auf der Basis einer professionellen Stelle in Institutionen wie Universitäten agiert. Die Berufswissenschaft funktioniert aufgrund ihrer großen Spezialisierung in bestimmte Disziplinen wie eine Lupe: Wer sich ausschließlich auf einen bestimmten Ausschnitt fokussiert, sieht das Drumherum nicht mehr. Experten verstehen von sehr wenig sehr viel und von allem anderen fast nichts. Wir aber wollen die Zusammenhänge erkennen. Dieses Zusammenhangwissen ist die große Stärke der Bürgerwissenschaftler, auch auf sozialen und  kulturellen Gebieten. Deshalb braucht es im Grunde immer beides – die Professional Science und die Citizen Science. Nur in einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe kann der Zusammenhang zwischen dem Bruchstückwissen hergestellt werden.
Kultur Joker: Da der Berufswissenschaftler für seine Forschungen bezahlt wird, befindet er sich in einer gewissen Abhängigkeit. Gibt es ein berechtigtes Misstrauen gegenüber dem etablierten Wissenschaftsbetrieb? Es wird ja bestimmt nicht immer so gerne gesehen, wenn die Bürgerwissenschaftler auf eigene Faust forschen und unter Umständen Skandale aufdecken?
Peter Finke: Da haben Sie vollkommen recht. Im Prinzip können natürlich auch Profis kritisch forschen – und sie tun es ja bisweilen auch. Man denke z.B. an den mutigen deutschen Chemiker und Toxikologen Otmar Wassermann, der die Verursacher von Umweltschäden aufdeckte sowie Politik und Wirtschaft anklagte, sie verhinderten die erhebliche Verminderung von Schadstoffausstoß und Chemieeinsatz. Dennoch ist die Bereitschaft von Profis, bezüglich der Folgen ihres Tuns antizipativ kritisch nachzudenken, nicht zuletzt auch durch die heute erhebliche finanzielle Beteiligung der Wirtschaft an ihrer Forschung sehr beschränkt. Insofern ist ein gewisses Misstrauen gegenüber der Professional Science durchaus berechtigt.
Kultur Joker: Woran liegt es dann, dass die Citizen Science gegenüber der Professional Science weniger beachtet wird?
Peter Finke: Das liegt vor allem daran, dass die Profiwissenschaft spektakulärer, international wichtiger und damit für die Medien interessanter ist. In meinem Buch finden Sie vier Bilder, die dieses Verhältnis veranschaulichen helfen; etwa das einer großen Himalaya-Expedition: Obwohl sich deren Erfolg maßgeblich den vielen Helfern verdankt, die die nötige Grundausrüstung bis zum Basislager tragen, gilt das öffentliche Interesse und das der Medien allein den zwei, drei Gipfelstürmern. Entsprechend werden die oft nur regional bedeutenden, aber fundamentalen Forschungen der Citizen Science, die den wichtigen Unterbau zur Professional Science bilden, meist übersehen – und zwar nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern auch vom Bildungsministerium.
Kultur Joker: Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Abrüstung. Wie könnte man die Grenzen durchlässiger machen? Wie soll diese Abrüstung vor sich gehen?
Peter Finke: Indem man noch einmal darüber nachdenkt, was unter Wissenschaft überhaupt zu verstehen ist. Abrüstung meint in diesem Fall, Abschied zu nehmen von einem Vorurteil. Man muss keine professionelle Ausbildung haben, um wissenschaftlich tätig zu sein. Ist etwa nur der ein Musiker, der an einer Musikhochschule studiert hat? Oder nur der Spitzensportler ein Sportler? Auch die größte und anspruchsvollste Wissenschaft muss zunächst mit elementaren Dingen umgehen, einfache Fragen stellen und sich dann die Antwort darauf überlegen. Ein guter Sachkenner zu werden verlangt nicht in jedem Falle ein formelles Studium oder ein Examen; gerade heute.
Kultur Joker: Im Buch heißt es, Citizen Science sei eine „grunddemokratische Tätigkeit“, deren Tradition auf die Aufklärung zurückgehe. Berühmte Beispiele wie Darwin, Mendel u.a. werden genannt.
Peter Finke: Dazu gibt es eine sehr gute Äußerung eines schweizerischen Rezensenten meines Buches [Alex Reichmuth, in: Die Weltwoche, Ausgabe 24/2014. Anm. der Red.]. Diese besagt, Citizen Science sei so etwas wie die direkte Demokratie in der Wissenschaft. Das ist eine wirklich zutreffende Charakterisierung. Auch in der Wissenschaft gibt es eine direkte Demokratie, da jeder Mensch im Prinzip die Fähigkeit hat, auf vielen Gebieten bei Wissenserwerb und Forschung mitzumachen. Und das wiederum geht zurück auf die Aufklärung. Damals gab es noch keine Einteilung in professionelle oder Laien-Wissenschaftler. Heute ist auch jeder Profi auf anderen als „seinen“ Gebieten ein Laie. Die Bürger sind der eigentliche Souverän in einem demokratischen Staat; das muss auch die Wissenschaft anerkennen.
Kultur Joker: Nun gilt Ihr Buch als die weltweit erste Einführung in Grundlagen, Motive und Reichweite des Bürgerwissens. Warum musste die Welt so lange auf ein solches Buch warten?
Peter Finke: Das kommt daher, dass die Wissenschaftsforscher – also diejenigen, die sich (wie ich) die Wissenschaft als Forschungsthema ausgesucht haben – die Universität nie verlassen; weil sie glauben, außerhalb nichts mehr über Wissenschaft lernen zu können. Das ist ein großer Fehler, den zunächst auch ich als Wissenschaftstheoretiker beging. Bis ich infolge meines eigenen bürgerschaftlichen Engagements außerhalb meines Berufs merkte, dass mich Menschen, die aus ihrem eigenen Interesse heraus forschen, besonders beeindruckten. Ihnen geht es genau darum, den Wandel unserer natürlichen oder sozialen Umwelt wahrzunehmen und zu dokumentieren anstatt nur im allgemeinen Strom mitzuschwimmen. Und das ist genau das, was bei der Professional Science unter die Räder kommt. Die Bürgerwissenschaftler reparieren das gewissermaßen. Dennoch herrscht weithin das Vorurteil, dass nur Profis „echte“ Wissenschaftler sind. Es gibt aber in Sachen Interesse und Kompetenz keine scharfe Begrenzung; das geht fließend ineinander über. Gerade die Übergänge, diese unscharfen Zonen sind das Interessante. Es werden zum Beispiel weiterführende Modelle entwickelt, die echte Alternativen zu unseren herkömmlichen Altenheimen darstellen und in die neben Soziologen, Ärzten oder Psychologen orts- und sachkundige Laien mit eingebunden sind. Dort arbeiten Profis und Laien auf Augenhöhe zusammen und bringen sich gegenseitig voran. Meist ist die schöne Rede vom „Dialog mit den Bürgern“ nur ein schönes Wort; das ist der Fehler. Wir brauchen ihn wirklich.
Kultur Joker: Im Vorwort schreiben Sie, Citizen Science sei eine „kulturelle Kraft, ohne die wir aus den Sackgassen der Gesellschaft nicht herausfinden werden.“ Welche Sackgassen meinen Sie?
Peter Finke: Sackgassen entstehen durch solche falschen Grenzziehungen zwischen Professional Science und die Citizen Science. Nehmen Sie den Fremdenhass, den Rechtsradikalismus oder auch die heutige Geschichtslosigkeit. Oder nehmen Sie den Zerfall unserer Wertewelt, in der Geld als einziger Wertemaßstab gilt. Eine besonders folgenschwere Sackgasse ist es, den heutigen Wachstumszwang für die Lösung unserer Probleme zu halten. Viele Bürger ahnen heute schon, dass das Wachstumsmantra der angeblichen Wirtschaftsexperten nicht zukunftsfähig ist. Wir können doch nicht ewig so weitermachen. Es gibt Bürgerwissenschaftler, die nach neuen, glückverheißenden Lebensmodellen suchen, um aus dieser Sackgasse herauszukommen.
Kultur Joker: Befindet sich auch die Professional Science in einer Sackgasse?
Peter Finke: Nicht durchweg und nicht in jeder Hinsicht. Citizen Science ist kein Ersatz für die beruflich betriebene Wissenschaft. Vieles kann nur durch Profis mit einer Spezialausbildung gelöst werden, etwa wenn ein Forschungsgebiet sehr abstrakt, speziell, komplex und teuer wird. Die theoretische Arbeit ist und bleibt wohl auch überwiegend ein sehr wichtiger Teil der Professional Science. Wer aber glaubt, Wissenschaft sei nur durch Spezialisierung fortschrittsfähig, stößt an eine Grenze. Dann zementiert sich die Professional Science im Elfenbeinturm ein. Eine weitere Sackgasse der heutigen Wissenschaft ist ihre Ökonomiehörigkeit. Indem ihre Ziele immer mehr aus den Bedürfnissen der Wirtschaft her entwickelt werden, hängt sie von dieser immer stärker ab.
Kultur Joker: Inwieweit könnten Politik und Kultur von einem veränderten Wissenschaftsbild profitieren? Geht das überhaupt?
Peter Finke: Ich hoffe, dass das geht. Man muss es versuchen. Wenn ich mir vorstelle, wie das Bildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) heute reagiert, nachdem es auf die Bürgerwissenschaft aufmerksam geworden ist, so muss ich sagen, die machen einen Fehler nach dem anderen. Bisher wurde nur die Wissenschaft an den Universitäten gefördert. Dass es mit der Bürgerwissenschaft so eine Art Basislager der Wissenschaft mitten in der Gesellschaft gibt, haben die nie wahrgenommen. Erst als der Begriff Citizen Science aus Großbritannien und den USA bei uns in der Presse auftauchte, sind sie hellhörig geworden – aus Furcht, in Deutschland mal wieder abgehängt zu werden. Dabei gibt es die Citizen Science-Sache auch hier schon lange. Deshalb sage ich: Wir sind noch keine Wissensgesellschaft. Wir werden es auch nicht, wenn wir, wie das BMBF es tut, nur auf die Profis setzen und Steuergelder nur für Projekte ausgeben, die sich wiederum Profis ausgedacht haben. Wenn Laien nur als neue kostenlose wissenschaftliche Mitarbeiter wahrgenommen werden, ist dies der falsche Ansatz. Vorurteile in Bezug auf das verbreitete Wissenschaftsverständnis abzubauen, wäre daher der wichtigste Schritt auf diesem Weg; aber den geht man nicht. Auf der letzten Seite meines Buches finden Sie Vorschläge, wie zum Beispiel jährliche Citizen Science-Tagungen, die Ausbildung von Wissenschaftsjournalisten oder die Gründung einer Zeitschrift, die diese Bewegungen zusammenführen: so könnte Förderung sinnvoll  sein, ohne die Ehrenamtlichkeit zu gefährden. Die letzte Bastion wirklich freier Forschung darf nicht auch noch den Steuerungsgelüsten des Staates und der Wirtschaft geopfert werden.
Kultur Joker: Demnach könnte die Citizen Science durchaus mehr Öffentlichkeit gebrauchen, zu der wir mit unserem Interview hoffentlich einen Beitrag leisten werden. Herr Professor Finke, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

„Befreiung aus dem Elfenbeinturm. Das unterschätzte Wissen der Laien“, Tagung, 11. Oktober 2014, 10 Uhr, Katholische Akademie Freiburg, Winterer Str. 1. Tagungsbeitrag 35,00 € , erm. 18,00 €, Übernachtung inkl. Frühstück 47,00 € , Mittagessen 12,00 €. Anm. für Übernachtung und Verpflegung erbeten bis 1. Oktober 2014.
Im März 2015 erscheint Peter Finkes nächstes Buch unter dem Titel: „Freie Bürger – freie Forschung. Die Wissenschaft verlässt den Elfenbeinturm“ (Oekom-Verlag München). Darin wird aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert, welche Konsequenzen sich aus der Bürgerwissenschaft für die akademische Wissenschaft ergeben.

2 Gedanken zu „Prof. em. Dr. Peter Finke, Wissenschaftstheorie und Kulturökologie (Universität Bielefeld) im Gespräch

  • Pingback: Bürgerwissenschaft contra Bürgeruniversität « Ehrenamt/Bürgerengagement in Gelsenkirchen/NRW

  • 24. Januar 2015 um 13:56 Uhr
    Permalink

    Peter Finke ist ein PHANTOM Richter beim LG Bielefeld , der seit 15 .Jahren als STRAFRICHTER ( so seine G. Stelle Oberbremer und FR. Dick zuständig für IT)
    Menschen verurteilt und in der Unterlassung gegen Fa. Edeka Minden PROZESSBETRUG begangen hat ! Mitgemacht hat der Präsident Schwieren und Börger -Fischer Az. 313 E AG Minden -5094 ( 4 )
    Antwort vom 9.01.2015 und beim Justizministerium NRw
    Az. 3132 E -Z 188 / 14 z Antwort von Schneider !
    Er bekommt vom LG Bielefeld nur Strafsachen oder Unterlassungen usw.
    WO BESTECHUNGSGELDER ERPRESST WERDEN KÖNNEN !

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