Windkraft und Infraschall: Ein Lügengebäude zerfällt zu Staub

Man kennt es vom Brexit oder der Trump-Wahl-Kampagne: Mit den Informationen, die arglose Nutzer:innen freigiebig an Daten-hungrige Internet-Konzerne geben, wird ein Persönlichkeitsprofil erstellt. Ähnlich wie die neugierigen Nachbar:innen, die hinter der Gardine alles mitbekommen, „kennt“ nun die Datenkrake ihre Pappenheimer und kann ihnen gezielt Werbung und Unwahrheiten auf den Bildschirm schicken. Solche sogenannten Dark Ads (Werbung im Verborgenen) können unbemerkt in bestimmten Kreisen zirkulieren, da diejenigen, die es korrigieren könnten oder hinter deren Rücken Lügen verbreitet werden, gezielt vom Informationsfluss ferngehalten werden. Diese Form der digitalen Wahlmanipulation wurde bekannt als Cambridge Analytica und Facebook damit aufflogen. Doch Social Profiling und (Wahl-) Manipulation funktioniert auch im analogen Leben. Intrigante Menschen, die Gerüchte über ihre Mitmenschen verbreiten, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, sind allseits bekannt. Sie kommen ganz ohne elektronische Datensammelfunktion aus, denn sie kennen ihre Mobbing-Opfer und auch diejenigen, bei denen die Lügengeschichten verfangen sollen.
Die analoge Kombination von Social Profiling und Dark Ads machen sich auch Gegner:inen der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Windkraft zunutze. Jede:r aus der Umgebung bekommt maßgeschneidert seine persönliche Angstmacher-Geschichte aufgetischt: die Landwirtin bekommt zu hören, dass ihre Kälber krank werden, dem Gastwirt wird erzählt, dass die Touristen wegbleiben, den neuen Eigenheimbesitzern wird gedroht, dass die Immobilie bald nichts mehr wert sei, Nerz-, Pferde- Tauben- oder Kaninchen-Züchter:innen bekommen eine spezielle Drohkulisse für ihre jeweilige Tierart serviert. Und diejenigen, die schon einmal über ihre Krankheitsgeschichte erzählt haben, bekommen für exakt diese Krankheit eine Ansage, wie viel schlimmer ihr persönliches Leiden durch den Infraschall wird. Hyperaktive Eiferer haben das Potenzial ganze Dorfgemeinschaften zu sprengen. Das zerrissene Dorf „Unterleuten“ aus dem gleichnamigen Roman ist überall.
Zu Glück kann an dieser Stelle Entwarnung gegeben werden. Ein besonders aufwändig konstruierter Sprengsatz zündet nicht mehr. Das Windkraft-Infraschall-Lügengebäude zerfällt gerade zu Staub, denn es basiert auf einer Studie, deren grobe Rechenfehler nun endlich durch die bundesweite Berichterstattung bekannt werden. Seit der Veröffentlichung im Jahr 2009 hausieren mit der fehlerhaften Studie über den „unhörbaren Schall von Windkraftanlagen“ dienstbeflissene Windkraftgegner:innen. Die fragliche Studie wurde von einer Bundesbehörde erstellt, die direkt dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Immerhin hat Wirtschaftsminister Altmaier inzwischen eingeräumt, dass »Welten« zwischen den BGR-Zahlen lägen und dem, »was tatsächlich der Fall ist« und sich dafür entschuldigt, dass durch diese falschen Angaben die Akzeptanz der Windkraft gelitten habe.
Doch bis dahin war es ein langer Weg. Aufgespürt hatte die Behörden-Posse der Wissenschaftler Dr. Stephan Holzheu von der Universität Bayreuth. Allerdings hat er die Physik dahinter derart gut verstanden, dass durch seine Erklärungen zunächst nur wenige die Dramatik des Fehlers verstanden. Wer zuckt schon spontan zusammen bei einer Differenz von 36 Dezibel*? Zum besseren Verständnis argumentierte er mit Me-ssdaten einer Fachbehörde aus Baden-Württemberg (LUBW), die stärkeren Infraschall an Straßen und im Auto aufzeigten: wer sich in der Nähe von Windrädern vor Infraschall fürchte, »sollte nie wieder in ein Auto steigen«. Holzheu bezifferte den »schwerwiegenden Rechenfehler« der BGR »auf einen Faktor 1.000 bis 10.000«. Da kaum ein Laie nachvollziehen kann, wie gravierend dieser Fehler ist, verglich er es mit einem Brot, das auf seiner Waage 1 kg wiegt, während die BGR-Waage für dasselbe Brot 1000 kg anzeigt.
Anfangs suchte er den offenen Austausch mit den BGR-Studien-Autoren, wie es unter Wissenschaftler:innen üblich ist, weil man schließlich der Wahrheit verpflichtet ist. Gute wissenschaftliche Praxis ist es, die eigenen Materialien und Methoden öffentlich zu machen, damit dasselbe Experiment überall nachgekocht werden kann, was unter gleichen Bedingung zu den gleichen Ergebnissen führen sollte. Doch statt eines seriösen Austauschs gab‘s zur Einschüchterung einen Anruf beim Vorgesetzten und die Androhung rechtlicher Schritte. Der Sensortechniker Holzheu schrieb dutzende Mails um die Ungereimtheiten aufzuklären. Die von ihm angefachte Debatte hinterlässt beeindruckende Spuren im Internet und auch im Blätterwald. Das offensichtliche Bedauern aus der Pro-Atomkraft-Szene darüber, dass die Windkraftgegner mit dem BGR-Schuldeingeständnis ihre härteste Keule verlieren, ist bemerkenswert.

* Schallintensitäten werden auf einer logarithmischen Skala dargestellt: 10 Dezibel mehr bedeuten einen zehnmal so lauten Schall, 20 Dezibel mehr bedeuten einen hundertmal so lauten Schall (10 x 10 = 100).

Bildquellen

  • Vorbild für digitale Dark Ads und Mikrotargeting aus dem analogen Leben: hinter vorgehaltener Hand verbreitete Gerüchte. Da die digitale Gerüchteküche Populisten in die Hände spielt, ist zu erwarten, dass mit solchen Methoden auch hier Meinungsmanagement und Wahlkampf betrieben wird.: Foto: Eva Stegen