„What the body?!“ sucht im Theater im Marienbad nach Körperbildern jenseits der Schubladen

Pst, falls Sie frieren, da wäre etwas für Sie. Die zehn Leuchtstäbe, die im Kesselhaus des Theater im Marienbad an der Decke hängen, wärmen und Lisa Bräuninger wird Sie eine gute Stunde lang in Bewegung halten. Die Schauspielerin, die auf bemerkenswert hohen Plateauschnürstiefeln steht und eine enge grün-schwarze Pepitahose zum Bowler trägt, deutet die Richtung an, sie teilt das Publikum wie Moses das Meer. Und am Ende wird sogar getanzt. Denn, wer gerne tanzt, weiß, so gut kann sich ein Körper im Sitzen gar nicht anfühlen.
„What the body?!“ hält sich mit der Trennung von Zuschauern und Theater, Stück und Recherche nicht auf. Die Tribüne ist abgebaut, das Publikum versammelt sich zu Beginn von Bräuningers Solo in Grüppchen im Theaterraum und wird sich während der gut einstündigen Vorstellung immer wieder neu verteilen, mal bildet sich eine Schlange, dann ein Kreis. Die Musik (Siri Thiermann) pumpt ordentlich. „What the body?!“ gehört zu jenen Stücken, die das Theater seinem Ensemble überantwortet hatte und die auch für Klassenzimmer konzipiert sind. Die Monologe befassten sich mit dem Klimawandel, was sonst noch auf den Nägeln brannte oder was die Schauspielerinnen und Schauspieler immer schon einmal machen wollten. Mit dem gemeinsamen Stück von Lisa Bräuninger, Anne Wittmiß und Anna Fritsch, das kaum mehr als ein Mikro und einen Lautsprecher braucht, schließt die Reihe. „What the body?!“ ist nicht allein das übliche Pubertätsdrama, bei dem der eigene Körper fremd wird, sich verändert, weiblicher oder männlicher wird, es beruht auf Interviews, die die drei Frauen mit Schülerinnen und Schülern geführt haben. Es scheint als ob der Pubertätshormoncocktail auf fluide Identitäten trifft. Da werden mathematische Formeln zur Volumenberechnung von Brüsten zitiert, dann wiederum probiert die Protagonistin einen Sport-BH an, aus dem sie eigentlich herausgewachsen ist, um ihre Oberweite abzubinden. Bräuninger fordert einzelne Zuschauer zur direkten Interaktion auf: Guck‘ mal, guck‘ weg. Teenager brauchen einfach viel Aufmerksamkeit.
Die Kommentare der Heranwachsenden und Jugendlichen werden immer wieder unterbrochen von Betrachtungen aus dem Tierreich, genauer von Delphinen. Delphine heißt es da einmal stoßen alle zwei Stunden ihre äußeren Hautzellen ab oder Delphine bekommen in Gefangenschaft Depressionen. Das ist ein bisschen so als schaute man zwischendurch ein Tiervideo, das – wenig überraschend – die eigenen Befindlichkeiten spiegelt. Und auf diese Spiegelungen zielt „What the body?!“ ja ab. Dass es keine Distanz zwischen Bühne und Publikum gibt, ist programmatisch. Wir sollen den eigenen Körper erfahren, doch was wichtiger ist, wer durch den Raum läuft und tanzt, wird zum Komplizen des Textes. Ist man jenseits der Pubertät – wie das Premierenpublikum im Marienbad ‒ kann das schnell etwas Unangemessenes bekommen. Sie erwarten an dieser Stelle ja auch keine Tipps, wie wir den Winter überstehen können. Oder?!

Weitere Infos: www.marienbad.org

Bildquellen

  • Lisa Bräuniger in „What the body?!“: Foto: MiNZ&KUNST Photography