Vom Wahn der Herrscher: Yair Sherman hat am Großen Haus ein sehenswertes „Wintermärchen“ inszeniert

Das Festgelage ist sozusagen bildschön. Einen Moment kann man glauben, man schaute auf ein Gemälde, ganz in Schwarz-Weiß gehalten, aus der Zeit der Renaissance als an Höfen üppig gefeiert wurde. Einzig der Sohn von Leontes in seinem grünen Anzug fällt aus dem Farbschema. Und wirklich wird er keine Hoffnung sein und das Publikum von Yair Shermans Inszenierung von Shakespeares „Wintermärchen“ am Theater Freiburg sollte sich gleich an das Schwarz halten, das wie Ruß aus der Ecke leckt in den Raum hinein. Und überhaupt befinden wir uns ja in einer Rückblende, eingeleitet von der Personifikation der Zeit (Hartmut Stanke), die auf einen anderen alten Mann schaut: Leontes (Michael Witte), ziemlich gebrochen im Krankenbett, die Vitalkurve macht keinen guten Eindruck. 16 Jahre zuvor bei dem ausgelassenen Fest nistete sich das Misstrauen in den König von Sizilien ein. Seine Frau Hermione (Marieke Kregel) habe etwas mit seinem Jugendfreund Polixenes, dem König von Böhmen (Victor Calero). Ganz sicher. Und auch schon lang. Der Sohn mag seiner sein, ihm wird zumindest eine gewisse Ähnlichkeit nachgesagt, aber das zweite Kind, von dem seine Frau demnächst entbunden werden wird, ist ganz bestimmt nicht von ihm. „Wie gesegnet bin ich mit meinem klaren Blick“ schwadroniert Leontes und fängt sich erst einmal eine Ohrfeige der Königin.
Herrscher, die in ihre eigenen Welten abdriften und taub für Ratschläge sind, waren nicht nur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit eine Gefahr. Heute braucht man mehr als eine Hand, um vergleichbare Politiker an ihr abzuzählen. Ein mittelalterlicher oder frühneuzeitlicher Herrscher, der irr wird, unterwirft alle seiner Willkür. Der König von Böhmen, das bekanntlich am Meer liegt, mit prächtiger Pelzstola und in Rotblond, wird von Camillo (Nicola Fritzen) gewarnt – statt getötet –, und gemeinsam retten sie sich auf das Schiff nach Böhmen, heim zu Frau und Sohn. Auf Sizilien nimmt das Unglück seinen Lauf. Hermione wird in den Kerker geworfen, wo sie ihre Tochter zur Welt bringt. Der Säugling wird dem Schicksal in der Einöde überantwortet. Es gibt bemerkenswerten Widerstand, etwa von Paulina (Anja Schweitzer). Dennoch gibt es keine Rettung. Roni Toren hat eine Architektur in das Große Haus gebaut, mit Türen und einer schmalen Galerie oben, von der der Hof die Verurteilung von Hermione verfolgt.
Doch das ist erst der Anfang des Unglücks, prophezeit vom Orakel von Delphi. Die Wendung Leontes kommt genauso aus dem Blauen wie sein früherer Wahn. Sei‘s drum, wer Shermans Inszenierung sieht, folgt einem Gleichnis, in dem alles seine Folgerichtigkeit hat. Perdita (Lou Friedmann) wird gefunden, schließlich soll dieses „Wintermärchen“ eine Komödie sein und wächst bei clownesken Schäfern auf. Dem israelischen Regisseur ist in Freiburg etwas Herausragendes gelungen, das man nicht verpassen sollte. Bis in die Nebenrollen hinein zeigt sich das Ensemble von seiner besten Seite. Obgleich die Inszenierung dreieinhalb Stunden dauert, ist sie kurzweilig, gewitzt, voller überraschender visueller Effekte (eine riesige dunkle, aufgeblähte Plastikplane ist etwa ein Unwetter). Kostümbildnerin Polina Adamov wechselt am böhmischen Hof und auf dem Land zudem die Farbpalette ins Bunte. Den Soundtrack spielt enthusiastisch das Heim und Fluchtorchester (Leitung: Ro Kuijpers). Dabei vergisst man keinen Moment, dass es eben nur wenig braucht bis ein Mensch alles vernichtet: das Leben anderer und ihr Glück, seins dazu und die Geschicke eines Landes. Entwirrt sich alles und die verfeindeten Familien versöhnen sich dank der Kinder, wird es geradezu heiter, wenn Calero und Fritzen jetzt in die Rolle der Bediensteten schlüpfen und vom Glück Polixenes und Camillos erzählen. Dass gleich und gleich sich finden, selbst wenn diese Schäferin ist, geschenkt. Doch mit der rätselhaften Statue Hermiones, die wie eine Automate belebt ist oder wie eine Zukunftsfantasie aus dem Kühlsarkophag sich zwischen die Lebenden mischt, ist etwas Fremdes und Unheimliches in der Welt. Und das wird nicht verschwinden.

Weitere Vorstellungen: 5./20./26. Januar, Großes Haus, Theater Freiburg. theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Thieß Brammer, Marlene Hanhörster, Michael Witte und Anja Schweitzer: Foto: Britt Schilling