Vom Leben auf der Erde: Olivia Maridjan-Koops Solo „Space Crone“ befasst sich nicht allein mit dem Alter
Die Leuchtröhren über der Bühne im Kammertheater des E-Werks geben ein blaues Licht ab. Sie bilden den Umriss eines Vierecks und spiegeln so nicht allein den Tanzboden wider, sondern auch die Form, in der das Publikum in einer Reihe um diesen sitzt. In Olivia Maridjan-Koops Solo „Space Crone“ kann die Künstlerin jeden Moment mit jedem Blickkontakt aufnehmen. Manche halten abgesägte Bambusstäbe in der Hand, andere eine Styroporbox mit Moos, wieder andere einen Tetrapack Rote-Beete-Saft. Es sieht aus als hätte Maridjan-Koop die Requisite ins Publikum ausgelagert. In den etwa 75 Minuten ihres Stückes wird das Licht noch des Öfteren die Farbe wechseln so wie die Tänzerin immer wieder andere Stimmungen evoziert.
„Space Crone“ hat sich die Rahmenhandlung dem gleichnamigen Essay der Science-Fiction-Autorin Ursula Koeber Le Guin entlehnt (Regie: Tom Schneider, Co-Creators: Julie Jaffrennou, Emi Miyoshi). Die Auserwählte, die Außerirdischen einen Einblick vom Leben auf der Erde geben könnte, müsste eine Frau um die 60 sein, die Kinder geboren und Menschen verloren hat, tönt es vom Kassettenrekorder. Crone ließe sich als Alte übersetzen, will man nicht allzu abfällig sein. Vermutlich wusste Le Guin wovon sie schrieb. Für Olivia Maridjan-Koop jedenfalls ist dieses Solo eine Selbstermächtigung. Für Tänzerinnen ist die Karriere meist in den 30ern vorbei, der gebürtigen Belgierin, die in Essen die Folkwang-Schule besuchte, gelang nach Stationen in Brüssel, New York und Italien, in Freiburg ein Neuanfang. Sie ist Teil der Compagnie um Julie Jaffrennou, die überhaupt aus ausdrucksstarken Künstlerinnen besteht.
Die eigentliche Erweckung steht ihr im E-Werk noch bevor. Es wird gut eine Viertelstunde dauern, bis sie sich nach erstem Rekeln vom Boden erhebt und auch das silberfarbene Oberteil auszieht, darunter kommen ein schwarzes Shirt und kurze Hosen zum Vorschein. Doch in „Space Crone“ gelingt Maridjan-Koop über die reine Selbstbehauptung hinaus ein anderes Kunstwerk: man hat den Eindruck als ob die Erfahrung eines ganzen Lebens am Publikum vorbeizieht. Man nimmt teil an sehr intimen Momenten großer Nähe, von Verletzlichkeit – einmal zeigt Maridjan-Koop die Narben einer Hüft-OP, und auch von Zärtlichkeit, wenn sie Zuschauer auf ein Kopfkissen aus Moos bettet, aber auch von Schmerz, wenn sie den Saft wie Blut die Beine herunterrinnen lässt. Einmal stimmt sie das Lamento aus „Dido und Aeneas“ an. Doch in „Space Crone“ hört man die Tänzerin und Performerin auch in ihrer Muttersprache und das hat Witz und ist von großer Unmittelbarkeit, auch wenn es oft nur der Ton ist, der Bedeutung übermittelt. Macht nichts, die Komik versteht man auch so. Am Ende, wenn diese Crone die Bühne wieder aufräumt, schließlich muss man solche Dinge im Leben immer selbst machen, fühlt man sich beglückt, Olivia Maridjan-Koops Frauenfigur rollt sich hingegen am Boden ein, diesmal auf einem Stück Stoff. Alles eine Frage der Lebensklugheit.
Bildquellen
- 404767111: © Olivia Maridjan-Koops