Migration, Identität, Entfremdung: Das ZKM in Karlsruhe zeigt eine Einzelausstellung des in Südkorea geborenen Künstlers Sung Hwan Kim
Sung Hwan Kim hat Räume gebaut für seine Geschichten. Im ZKM Zentrum für Kunst und Medien lädt die große Einzelausstellung „Sung Hwan Kim. Protected by roof and right-hand muscles“ dazu ein, dem Künstler durch die verschiedenen Räume und Geschichten zu folgen. Es geht um Migration, Identität, das Gefühl von Entfremdung. Der 1975 in Südkorea geborene Künstler erlebte als Kind die Auswanderung seiner Eltern in die USA. In seinen Videos, Installationen und Zeichnungen erzählt Kim Geschichten, die von der Elterngeneration aus Südkorea mitgebracht wurden, und Geschichten aus dem eigenen Erleben.
Man sollte dazu Zeit mitbringen, um sich auf die Videos einlassen zu können. Zu der jeweils eigens von David Michael DiGregorio komponierten Klanglandschaft entfalten sich Erzählungen von kulturellen Brüchen. Das Gesicht des Künstlers wird wie von Geisterhand mit einem schwarzen Stift übermalt, so wie koreanische Identität und Tradition von der US-amerikanischen überschrieben wird. Aber darunter stecken immer noch die südkoreanischen Wurzeln. So wie in den modernen Mythen und Legenden aus Korea, auf die angespielt wird. In „Washing Brain and Corn“ wird Yoon Jin Kim, der Nichte des Künstlers, die schreckliche Geschichte erzählt, wie nordkoreanische Spione einem kleinen Jungen den Mund zerrissen als dieser sagte, „Ich hasse die Kommunisten“. Die bis heute anhaltende, scharfe Teilung des Landes bleibt eine offene Wunde.
Sung Hwan Kim spielt mit Geschichten, ob sie wahr oder erfunden sind. Die rätselhaften Erlebnisse einer jungen Frau in „From the commanding heights“ gehen zurück auf zeitgenössische Gruselstories, die südafrikanische Schüler dem Künstler erzählt haben. Als junger Mann lebte Kim ein paar Jahre in Amsterdam. Dort erlebte er, wie Menschen Hunde als geliebte Haustiere halten, ein in Korea völlig unbekanntes Konzept. Dort dienen Hunde dazu, Häuser und Gelände zu bewachen. Im „Dog Video“ spielt DiGregorio den Hund, Sung Hwan Kim stellt seinen eigenen, sehr strengen Vater nach.
Etwas Autobiografisches kann man in jeder Installation, jedem Video entdecken, und doch gehen die Arbeiten von Kim immer darüber hinaus. Die traditionelle koreanische Familienstruktur löst sich durch Auswanderung und die Begegnung mit der Moderne auf. Kim verbindet eigene Kindheitserinnerungen in „Temper Clay“ mit Shakespeares Drama „König Lear“, dessen Familie anfängt, ihn und sich gegenseitig zu bekämpfen. Gewinnt die Fürsorge oder die Gier nach dem Erbe?
Koreanische Migrationsgeschichte geht weit zurück. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben Menschen aus Asien die USA angesteuert, und meist war Hawaii der erste Anlaufpunkt. Da trafen die frisch eingewanderten Asiaten auf die hawaiianische Urbevölkerung. Die Ur-Hawaiianer hatten ganz andere Sitten als die Koreaner. In Kims Installationen aus der Reihe „A Record of drifting across the sea“ werden alte und neue Geschichten lebendig. Wie die früher sehr zurückhaltenden koreanischen Frauen darunter litten, von den wesentlich ungenierteren Hawaiianern neugierig angestarrt zu werden. Wie koreanische Omas in traditionellen Gewändern auf Koreanisch die amerikanischen Polizisten angingen, die sie für Japanerinnen hielten. Wie junge Koreanerinnen versuchten, sich eine andere, europäisiertere Optik anzueignen. Migration bedeutet natürlich nicht nur Traumata, sondern auch die Vermischung verschiedener Kulturen und das Entstehen von etwas Neuem. Mary Jo Freshley, Jahrgang 1934, hat sich für eine andere Kultur geöffnet. Sie unterrichtet bis heute auf Hawaii traditionellen koreanischen Tanz und bewahrt damit einen Teil koreanischer Kultur. In Kims Videos, Zeichnungen und Objekten steckt viel Stoff, der zum Nachdenken anregt.
„Sung Hwan Kim. Protected by roof and right-hand muscles“, ZKM, Lorenzstr. 19, Karlsruhe, Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa+So 11-17 Uhr, freitags ab 14 Uhr frei. Bis 21.04.24.
Bildquellen
- Sung Hwan Kim: „Washing Brain and Corn“, 2010, Videostandbild: © Sung Hwan Kim/ZKM