Theodor Fontanes „Unterm Birnbaum“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten

Die Leichen der Anderen

Wenn sich im Gras unterm Birnbaum das Fallobst sammelt, kann schon auch mal ein kleiner Wurm drin sein. So richtig wurmstichig wird’s in Theodor Fontanes Kriminovelle von 1885, die die Freiburger Immoralisten als diesjähriges Sommer-Open-Air auf die Bühne bringen, aber erst unter der Erdoberfläche im Wurzelbereich, wo der Wirt Abel Hradschek eine Leiche aus dem letzten Weltkrieg entdeckt. Und wieder vergräbt.

Mutter Jeschke, die ihren Zaun immer schon dabeihat, um rüber zu geifern, hat ihn dabei beobachtet. Selbst von ihrer Schlafstatt aus pflegt sie das Tun der anderen zu überwachen (virtuos: Verena Huber). Umso besser für Hradschek (Jochen Kruß). Diese Leiche soll ihm nicht nur als Ideengeber dienen, sondern auch als Alibi für einen Mord, den er kurz darauf an einem reichen Gast begehen wird, um mit dessen Geld seine Schulden zu begleichen: Als er in Verdacht gerät, gräbt man auf Mutter Jeschkes Anraten hin prompt die falsche (alte) Leiche aus, die ihn somit entlastet. Die andere indes, das echte Opfer nämlich, lagert in seinem Weinkeller.

Dort gehören die Leichen ja auch hin. Irgendwie hat doch jeder so eine im Keller. Die Angst vor der Armut macht die zugezogene Ursel Hradschek (Chris Meiser) zur Komplizin ihres Gatten: „Nur nicht arm sein. Armut ist das Schlimmste, schlimmer als der Tod.“ Die nicht mehr zu ertragende Armut lässt heutzutage viele Menschen die Flucht übers Meer ergreifen.

So wie bei Fontane die Hradscheks nicht in die Gesellschaft hineingelassen werden, werden heute die Flüchtlinge abgeschottet. Und immer sind es die Leichen der Anderen, die von der eigen(tlich)en Leiche ablenken. So auch im Stück, das von Manuel Kreitmeier (Buch und Regie) gekürzt, im Wortlaut jedoch original belassen wurde.

Nicht die Schuld des Mordes prangert er in dieser Inszenierung an, als vielmehr jenen immer gleichen, brutalen Mechanismus einer biederen Gesellschaft, wenn es gilt die eigenen Pfründe zu sichern. Damit gelingt den Immoralisten ein guter Bogen ins aktuelle Zeitgeschehen, zumal in Szene gesetzt mit historischer Tracht und entsprechender Kulisse.

Bei der Premiere weist das Stück aber einige Längen auf. Zu ungestüm zuckt hie und da der immoralische Zeigefinger in die Höhe; vielleicht entfacht durch die schier endlose Aneinanderreihung kurzer Sequenzen. Für nur wenige Sätze werden jeweils mit Biedermeiersofa, Kreuz und der Idylle in Öl an der Wand die Kulissen auf- und umgebaut (von Manuel Kreitmeier am Klavier live und charmant untermalt mit der (fast) immer gleichen Zwischenmelodie).

Das kappt ab und an den roten Faden. All dies mag der kurzen Probenzeit geschuldet sein und wurde sicherlich für die nächste Aufführung bereits behoben. Zeichnet den Regisseur doch gerade dies überaus feine Gespür für eine gelungene Inszenierung aus.

Friederike Zimmermann

Was: Unterm Birnbaum von Theodor Fontane
Wann: bis 9. September 2018
Wo: Theater der Immoralisten, Ferdinand-Weiß-Str. 9-11, 79106 Freiburg
Web: www.immoralisten.de

Bildquellen

  • kultur_joker_theater_immoralisten_unterm_birnbaum_fontane_open_air_foto_kreitmeier_steinhoefel: Manuel Kreitmeier/Norbert Steinhöfel