„Südwest ist eine Verortung der Weltoffenheit“

Im Gespräch: Martin Bruch und Katharina Knüppel vom Literaturhaus Freiburg

Seit dem 22. Oktober ist das Literaturhaus Freiburg eingeweiht. Annette Hoffmann sprach mit Leiter Martin Bruch und seiner Stellvertreterin Katharina Knüppel über die Ursprünge des Hauses, die neuen Möglichkeiten in der Alten Universität und das 31. Freiburger Literaturgespräch, das vom 9. bis 12. November stattfindet.

Kultur Joker: Inzwischen ist das Literaturhaus bezogen. Gab es für Sie Mindeststandards, die es erfüllen sollte?

Martin Bruch: Seit der Absage an den Standort Werthmannplatz im Jahr 2014 ging es bergauf. Da kam die Alte Uni ins Gespräch und damit ein Saal, der erst einmal vielversprechend schien. Er wurde eineinhalb Jahre von Grund auf renoviert. Insofern haben wir die letzten Monate auf die Details gesehen und um jede Türklinke, jedes Licht und jede Wandverkleidung gerungen.

Kultur Joker: Warum waren diese Details so wichtig?

Bruch: Wir haben Gespräche mit verschiedenen Bühnenbildnern geführt. Leute, die eigentlich aus einem anderen Metier, dem des Theaters kommen. Auch, weil das Theater eine reiche Geschichte hat, während Literaturhäuser erst in den letzten 25 Jahren vermehrt entstanden sind –, oft als Umnutzung oder Zwischennutzung anderer Räumlichkeiten. Das Spannende am Freiburger Projekt war, dass wir es anders denken konnten. Wir konnten von einem Raum ausgehen, der beeinflussbar war.

Kultur Joker: Mit dem Umzug bewegt sich das Literaturhaus von seinen Anfängen weg. Wie lässt sich die Lücke schließen zwischen einem Veranstaltungshaus, in dem national und international bekannte Autorinnen und Autoren zu hören sind und der Basis des Literatur Forum Südwest?

Bruch: Ich musste, als ich 2014 hierher kam, erst einmal diese Struktur kennen lernen. Sie ist ja keine Selbstverständlichkeit. Oft sitzen Repräsentanten in den Vorständen, der Einfluss auf die Programmgestaltung ist größer. Das Angenehme an Freiburg ist, dass genau dies nicht passiert. Der Verein hat sich bewusst dafür entschieden, ein jüngeres Kernteam mit der programmatischen Leitung zu betrauen und dies ohne Auflagen und Richtlinien. Wir suchen den Kontakt zum Verein, treffen uns monatlich mit dem Vorstand und besprechen unsere Vorhaben. Es wird begrüßt, dass wir Literatur international angehen. Trotzdem muss man schauen, dass man programmatisch einen gewissen Spagat hinbekommt.

Katharina Knüppel: Wenn man durch unser Programm blättert, sieht man sowohl die regionale Verwurzelung als auch den Austausch. Das offene Werkstattgespräch, das es seit der Gründung des Vereins gibt, zieht auch in das neue Haus ein. Wir haben uns mit der langen Tafel ein weiteres Format ausgedacht, um Vereinsmitglieder mit Interessierten zusammenzubringen. Mit der Einladung zu einem gemeinsamen Mittagessen wollen wir eine Öffnung schaffen.

Kultur Joker: Südwest klingt einerseits ein bisschen provinziell, andererseits nach einer Öffnung zur Schweiz und nach Frankreich. Frankreich war dieses Jahr auch Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Ergibt sich aus der Grenznähe eine programmatische Ausrichtung?

Knüppel: Mit der Schweiz ist das natürlich einfacher, weil es da teilweise keine Sprachgrenze gibt. Frankreich gehört dennoch unbedingt zu den Blickwinkeln, die wir einnehmen. Mit dem Centre Culturel Français machen wir zweisprachige Veranstaltungen, die hier in Freiburg ihr Publikum finden. Beim diesjährigen 31. Freiburger Literaturgespräch wird es eine Soirée française geben.

Kultur Joker: Soll das eine ständige Einrichtung werden?

Bruch: Beim Literaturgespräch nein. Dieses Literaturhaus hat zwei Alleinstellungsmerkmale. Das erste ist, dass hinter dem Haus Schreibende und Übersetzende stehen. Das zweite ist, dass wir durch unsere Lage so leicht über den Tellerrand schauen können und da verstehe ich Südwest als eine Verortung der Weltoffenheit.

Kultur Joker: Mit dem Umzug geht auch eine Stärkung des Jungen Literaturhauses einher.

Bruch: Das ist eine Setzung, die mir wichtig ist. Zu Freiburg passen ein junges Literaturhaus und junge Leser. Mit Birgit Güde ist vor eineinhalb Jahren jemand eingestiegen, der gar nicht in erster Linie aus der Literaturwissenschaft kommt, sondern einen interdisziplinären Zugang hat. Birgit Güde hat Dramaturgie und Kunst studiert, freie Literaturprojekte an Schulen organisiert und viel frischen Wind nach Freiburg gebracht. Was sie in unserem jungen Programm macht, wird nun viel sichtbarer werden.

Kultur Joker: Wie kam die Finanzierung des Literaturhauses zustande?

Knüppel: Der Hauptteil kommt von der Stadt Freiburg. Überhaupt hat die Stadt einen wesentlichen Anteil am ganzen Prozess. Ohne diese Unterstützung und auch Begeisterung aus der Stadtpolitik gäbe es das Literaturhaus nicht. Der Investitionszuschuss beträgt 65.000 Euro. Wir haben schnell festgestellt, dass das nicht ausreicht und dass wir mindestens die Hälfte noch einmal selbst eintreiben müssen. Jetzt ist es mehr als doppelt so viel geworden, auch durch wunderbares Engagement aus der Bürgerschaft oder durch Produktsponsoring oder Rabatte. Den Umbau an sich haben die Universität, das Land und die Stadt getragen.

Kultur Joker: Hat es die Akquise erleichtert, dass hinter dem Literaturhaus Machende und keine Repräsentanten stehen?

Bruch: Nein. Neben dem Trägerverein gibt es noch einen Förderverein mit gut hundert Mitgliedern. Da kommt ein anderer Kreis von Literaturbegeisterten zusammen, die oft einen akademischen Zugang haben oder jedenfalls begeisterte Leser sind. Der Förderkreis war für die Akquise von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wir haben uns bemüht, für jedes Detail einen Weg der Umsetzung zu finden. Konkret heißt das, man kann viele Stühle schön finden, muss sie aber bezahlen können. Man muss Wege gehen, die es so nur hier gibt. In vielen Detailfragen haben wir uns überlegt, wie das Literaturhaus etwas Besonderes für Freiburg werden kann. Wir haben Sponsoren und Partner gefunden, die in der Region herausragend Gutes zu bieten haben. Das fängt bei Vitra an und reicht bis zum kleinen Weingut Andreas Dilger.

Kultur Joker: Mit dem Auszug sind im Alten Wiehrebahnhof Räume frei geworden. Was passiert mit ihnen?

Knüppel: Das Kommunale Kino wird sie übernehmen, für das war es eine willkommene Gelegenheit, sich zu erweitern. Man darf gespannt sein, was sich daraus entwickelt.

Kultur Joker: Und die studentischen Theatergruppen sind auch nicht ganz heimatlos geworden?

Bruch: Ein großer Teil der Gruppen wird am Fahnenbergplatz spielen, die Räume des ehemaligen Kinos sind auch wesentlich größer. In der Alten Uni werden vermutlich die experimentelleren Inszenierungen stattfinden. In der Regel werden die Theatergruppen von Samstag bis Montag proben, wenn wir keine Veranstaltungen haben. Für unsere Großveranstaltungen und Wochenendprojekte haben wir ein Vorzugsrecht. Das ist auch insofern eine geschickte Regelung, dass es die Miete gering hält, da wir den Saal nicht voll nutzen. Bei einem Stellenvolumen von 2,5 Personen können wir gar nicht an sieben Tagen der Woche Veranstaltungen machen.

Kultur Joker: Wie hoch ist der Veranstaltungsetat?

Bruch: Das wird sich jetzt erweisen, wir sind in der Akquise. Das Land steigt im Bereich Kinder und Jugend stärker ein und hat uns für die ersten vier Jahre eine Initialförderung gewährt. Das ist jedoch projektbezogen. Auch das Regierungspräsidium unterstützt uns. Wenn man die Gehälter abzieht, bleibt ein Drittel des Etats für Veranstaltungen. Alle Großprojekte sind durch Drittmittel finanziert. Mindestens für jede zweite Veranstaltung tun wir uns mit einer Freiburger Institution oder mit Buchhandlungen zusammen.

Kultur Joker: Das Freiburger Literaturgespräch, das in diesem Jahr an das Literaturhaus übergeben wird, finanziert weiterhin die Stadt?

Knüppel: Der größte Teil kommt von der Stadt, es gibt noch einen nennenswerten Zuschuss vom Land Baden-Württemberg und kleineren Kooperationspartnern und Förderern, die wir für Einzelveranstaltungen gewinnen konnten.

Bruch: Der Etat des Literaturgesprächs wurde eins zu eins auf uns übertragen. Wobei man sagen muss, dass Britta Baumann vom Kulturamt das Literaturgespräch bisher mit viel Herzblut betreut hat. Dieser Stellenanteil wurde nicht übertragen. Unterm Strich ist es also weniger geworden, wir versuchen es auszugleichen, indem wir mit vielen Partnern zusammenarbeiten.

Kultur Joker: Viele bedauern, dass das Literaturgespräch einen derart politischen Ort wie den Rathaussaal verlässt.

Knüppel: Der Reiz bestand natürlich darin, dass die Autoren dort zu Wort kommen, wo Politik gemacht wird. Das war ein symbolischer Akt. Daran knüpfen wir durch eine Doppeleröffnung an, indem Ingo Schulze auch in diesem Jahr dort beginnt, wo das Literaturgespräch die letzten dreißig Jahre zuhause war, bevor A. L. Kennedy im Literaturhaus liest. Aber wenn Freiburg einen Ort bekommt, der ein Zuhause für die Schreibenden und Lesenden sein soll, gehört auch das Literaturgespräch hierher.
Wie sich das Festival am neuen Ort noch einmal neu erfinden kann, zeigt vielleicht ein Zitat von Juri Andruchowytsch: „Deutsche, die Lesungen besuchen, bilden eine besondere Gesellschaft. Sie pflegen eine beinahe protestantische Kultur des Zuhörens, trockene Konzentration, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, sorgfältige analytische Arbeit der Gehirne an den gehörten Sätzen und Worten, innerliches Vermahlen und konzentriertes Aneignen von Klang und Bedeutung“. Dieses trocken Protestantische wollen wir ein bisschen auflockern. Es geht auch darum, die anderen Sinne zu aktivieren.

Bruch: Das lässt sich auf das gesamte Haus übertragen. Wir wollen Literaturvermittlung breiter aufstellen und die Literatur mit anderen Künsten in Berührung bringen. Ohne dass dabei die Konzentration verlorengeht. Der Kern des Literaturgesprächs ist für mich immer der Samstag gewesen, an dem sechs Autoren hintereinander ihre Bücher vorstellen und ins Gespräch kommen. Das haben wir beibehalten, weil wir glauben, dass da eine Konzentration möglich ist, die man bei anderen Veranstaltungen nicht erlebt. Gleichzeitig muss es das Gegenbild geben. Es muss verschiedene Arten von Publikum geben: Schüler, die Gegenwartsliteratur zum ersten Mal erleben, Studierende, die in die Werkstatt gehen und es muss abends Veranstaltungen geben, die einen anderen Twist haben.

Kultur Joker: Wie sieht die Verzahnung mit der Universität aus?

Bruch: Das Gebäude ist Teil der Universitätsgeschichte. Insofern ist die Uni für uns so allgegenwärtig wie sie für die gesamte Stadt allgegenwärtig ist. Über die Reihe zwischen/miete haben wir seit Jahren eine gewachsene Kooperation. Daneben gibt es einen Austausch mit dem Deutschen Seminar, aber auch mit den Anglisten und dem Frankreich-Zentrum. Die deutsch-französischen Kulturgespräche im nächsten Jahr sind das kommende Großprojekt, das von uns mitkonzipiert und zum Teil auch im Literaturhaus stattfinden wird.

Kultur Joker: Zur Alten Uni gehört auch der Innenhof. Gibt es bereits Pläne, ihn einzubeziehen?

Bruch: Es ist ein Ort, der in einer ruhigen und geheimnisvollen Art in die Stadt strahlen kann. Man muss damit behutsam umgehen, wir entwickeln momentan Projekte für den kommenden Sommer. Im Innenhof liegen Potential und Versprechen.

Knüppel: Der Innenhof hat eine tolle Akustik. Es ist dort total still. Durch Zufall hat uns ein Forstwissenschaftler die Geschichte der beiden alten Baumriesen erzählt, die im Zuge der 1848er Revolution von den Studierenden gepflanzt wurden: die Linde für das vereinte Deutschland, die Platane für ein vereintes Europa. Die stehen dort seit über 150 Jahren und haben wie durch ein Wunder beide Weltkriege überstanden.

www.literaturhaus-freiburg.de

Bildquellen

  • Katharina Knüppel und Martin Bruch.: © Constanze Knothe

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