Schwierige Themen, Mut und Selbstbewusstsein

Das Bildrausch Filmfestival in Basel

Das 7. Bildrausch Festival vom 21. bis 25. Juni 2017 in Basel lud mit seinem internationalen Wettbewerb, Spezialprogrammen und vielen Schweizer Premieren dazu ein, neue filmische Entdeckungen zu machen.

Szenenfoto "Two Brothers, My Sister", Film von Teresa Villaverde (© PD)
Szenenfoto „Two Brothers, My Sister“, Film von Teresa Villaverde (© PD)

Seit 2011 bringt das Bildrausch Festival internationales Autorenkino nach Basel. Dabei stehen gerade jene Filme im Fokus, die schon auf großen Festivals für Aufregung sorgten. Jenseits einfachen Konsumkinos steht der Film als Kunstform im Mittelpunkt. Nicht immer waren die Filme daher leicht zu verdauen oder zugänglich, umschmeichelte Publikumslieblinge gab es wenige. Vielmehr hatte man als Zuschauer Respekt vor dem Leiden oder Leistungen der Filmmacher, die schwierigen Themen ihrer Filme anzugehen, Respekt ebenfalls vor den Festivalleitern, diese oft unbequemen Filme auf die große Leinwand zu bringen.

Trotz enthusiastischer Haltung der Festivalleiter Nicole Reinhard und Beat Schneider blieb es doch ein eher düsterer Tenor, der die Filme des Festivals durchzog. Dass dennoch kein Trauerspiel daraus wurde, ging auf die energische, oft poetisch-befreiende Machart der Filmbeiträge zurück, die sich ihren Themen mit Mut und künstlerischem Selbstbewusstsein näherten.

Beweis dafür waren vor allem die Specialgäste des Festivals: Teresa Villaverde und Terence Davies. Beide nehmen sich den schwierigen Facetten ihrer Heimatländer Portugal und England an, tun es jedoch auf aufgeweckte, kritisch-verspielte Art. Teresa Villaverdes früher Film „Two Brothers, My Sister“ zeigt ein Mädchen, das für ihre dysfunktionale Familie sorgen muss, auf der Arbeitsstelle belästigt wird und überhaupt wie verloren in einer trostlosen Welt steht. Die poetische, bisweilen fast zärtliche Bild- und Tonsprache gibt ihr aber Raum für ihre Trauer und ihr Leid, formt daraus sogar etwas Neues, Kraftvolles, das zu ihrem vermeintlichen Opferstatus gar nicht passen will. Auch wenn der Film tragisch bleibt, erhält er so eine Kraft, die den Zuschauer nicht unbeeindruckt, eigentlich sogar belebt aus dem Kino kommen lässt.

Gleiches bei Terence Davies. Sein erster Langfilm „Distant Voices, Still Lives“ beschreibt den hoffnungslosen, ewigen Trott einer englischen Familie. Dies jedoch keineswegs in kargen Bildern, sondern in einer kunstvollen, Zeit- und Raum-überschreitenden Montage, die dem schweren Schicksal der Figuren eine eigensinnige Dynamik verleiht. Gleichermaßen werden so kritische Töne möglich. Wenn neben dem schweren Schicksal der Figuren plötzlich ein heiteres Lied steht, wird die Diskrepanz von idyllischen Lebensentwürfen und der tatsächlichen Lebenswirklichkeit auf schwarzhumorige Weise deutlich. Erkenntnisreich und heiter gleichermaßen.

Auch Davies neuester Film „A Quiet Passion“, der vom schweren Lebensweg der Dichterin Emily Dickinson erzählt, weiß über die widerständige, starke Persönlichkeit der Protagonistin eine kraftvollen Funken Leben zu bewahren. Die Kunst ist auch hier ein Mächtiges und den Lebensumständen niemals bloß unterworfen. Worin sich die Macht des Mediums Film zeigt, auch schwierige Themen selbstbewusst aufzuarbeiten und kritisch zu durchleuchten.

Davies „A Quiet Passion“ lief als aktueller Film bereits im Wettbewerb „Cutting Edge“. Auch dort zeigte sich die Widerstandsfähigkeit und Tiefe des Kinos. Zwei Filme stachen dort mit ihrer künstlerischen Kraft besonders heraus. Reha Erdems „Big Big World“ und Amat Escalantes „The Untamed“. Beide beschäftigen sich mit den patriarchalen, einengenden Gesellschaftsstrukturen der Heimatländer beider Regisseure, Türkei und Mexiko. Beide Filme bieten zugleich sonderbare, widerspruchsreiche Gegenwelten.

In „Big Big World“ fliehen zwei Jugendliche vor der Gesellschaft und gelangen in einen märchenhaften Wald. Dieser hat nichts mehr von der kühlen, städtischen Umgebung, ist aber dennoch kein menschenfreundlicher Ort. Vielmehr stoßen die beiden Protagonisten gerade hier auf ihre ureigenen Probleme. „The Untamed“ bildet jene Gegenwelt anhand eines Monsters, wie man es aus Andrzej Żuławskis Kultstreifen „Possession“ kennt. Eine dysfunktionale Ehe trifft auf ein sonderbares Wesen, das sexuelle Befriedigung verschafft, gleichermaßen aber pure Zerstörung bedeutet. Das Filmische und Fantastische ist in beiden Filmen ein rettender Ausweg, der aber auch Gefahren birgt. Nie bieten die Filmmacher einfache Lösungen. Auch neue Wege müssen durchdacht werden, vor allem, wenn sie die großen Probleme der menschlichen Existenz betreffen. Menschsein ist niemals einfach.

Dies wird umso deutlicher, wenn man die schwierigen gesellschaftlichen Situationen berücksichtigt, in welchen sich die meisten Protagonisten der Wettbewerbsfilme befinden. In Philippe Van Leeuws „Insyriated“ sehen wir ein dramatisches Kammerspiel vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Damaskus. Menschen sind dort in eine Wohnung gepfercht, während draußen die Bomben fallen. In „The Devil’s Freedom“ von Everardo González sehen wir die ohnmächtigen Opfer organisierter Gewalt in Mexiko.

In Kim Ki-duks „The Net“ gelangt ein nordkoreanischer Fischer ohne eigenes Zutun über die südkoreanische Grenze und muss sich fortan um sein eigenes Leben, aber auch das seiner Familie sorgen. Immer wieder zeigt das Filmfest die Ohnmacht der Einzelnen gegenüber großen gesellschaftlichen Umbrüchen. Manchmal wagt es der Film dann auch gar nicht, dem ein künstlerisches Gegengewicht zu schaffen. Manchmal reicht es schlichtweg auch, das Grauen zu dokumentieren. Wichtig war dann auch die Möglichkeit während des Filmfests, mit den Filmschaffenden nach dem Screening in Kontakt zu treten. Über die Diskussionen konnte das Gesehene verarbeitet werden, man ging als Zuschauer deutlich informierter, wenn auch oft betroffen aus dem Kino. Viel vergessenes oder medial verzerrtes Unheil auf der Welt konnte so überhaupt erst fassbar gemacht werden. Nicht zuletzt wurde den Leidtragenden all jener Konflikte ein Gesicht gegeben. Sie können in Erinnerung bleiben.

Heiteres, bisweilen Bissiges gab es auch zu sehen. Der Eröffnungsfilm „Casting“ von Nicolas Wackerbath demonstrierte die emotionalen und strategischen Verwicklungen während eines Castings für einen Fernsehfilm. Ebenfalls heiter, wenn in seinen Motiven auch abgedroschen war Sally Potters Gesellschaftssatire „The Party“ mit Bruno Ganz in der Hauptrolle. Ganz war schließlich auch für ein Publikumsgespräch zu haben und wurde herzlich empfangen. Viele weitere Filme, unter anderem auch die Einblicke in die Werke der Bildkünstler Tony Conrad und Bill Viola, finden hier leider keinen Platz.

Leider, denn das Festival bot noch viele weitere Facetten und Einblicke. Am Schluss gewann Teresa Villaverde den Preis des Festivals für ihren Wettbewerbsfilm „Colo“. Sie zeigte sich glücklich, aber auch bescheiden, mit Respekt vor ihren filmischen Themen, aber auch dem Selbstbewusstsein aus ihnen kein Trauerspiel zu machen. Und damit ist das gelungene Bildrausch Filmfest treffend charakterisiert.

Fabian Lutz