Schöner Weltschmerz: Wiktor Bagiński inszeniert am Theater Freiburg Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“

Hermann Hesses „Der Steppenwolf“ ist so etwas wie ein Generationsroman. Für jede Generation bietet er Identifikationspotential für das eigene unbestimmte Empfinden, dass die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte. Dass das 1927 erschienene Buch Schullektüre ist, mag mit seiner Rezeptionsgeschichte zusammenhängen. In den 1970er Jahre wurde der Roman wiederentdeckt, das Gefühl Außenseiter zu sein, die Auffassung des Ichs als multiple Persönlichkeit und die Drogenexperimente passten zu einer Zeit, die vielleicht weniger auf die Gemeinschaft als auf das Individuum bezogen war. Und dass der Roman durchaus rassistisch und auch misogyn war, störte die Hippies wohl weniger als man erwarten könnte.
Harry Haller, der im Ersten Weltkrieg Pazifist war und in Zeitungsartikeln gegen den Nationalismus anschreibt, sich ansonsten aber in seinem Weltschmerz gefällt, taucht dank Hermine und Maria in ein Nachtleben ein, das im Gegensatz zu seiner humanistischen Bildung steht. Es ist eine Gegenkultur, man hört Jazz, durchtanzt die Nächte und experimentiert mit Drogen. Vielleicht war diese Ausbildung einer populären Kultur ein weiterer Anschluss für die 1960er Jahre.
Am Theater Freiburg hat nun der afro-polnische Regisseur Wiktor Bagiński den Roman für die Bühne adaptiert. Die Figuren sind auf vier Darsteller kondensiert. Wobei Janna Horstmann Hermine und Maria spielt sowie die Vermieterin, während Martin Hohner ihren Neffen gibt, Pablo und Elvis. Sherona Dallmann übernimmt eine der Tanzszenen (Choreografie: Graham Smith). Und mit Moses Leo spielt ein Gast in Freiburg, der ansonsten am Gorki-Theater zuhause ist sowie in freien Theaterproduktionen und Performances. Seine Präsenz und sein präziser Umgang mit dem Text tut dem Ensemble gut. Stefania Chiarelli-Myślińska hat eine Guckkastenbühne gebaut, die einerseits Wohnung ist und anderseits lassen verstellbare Gazewände das Kleine Haus zum magischen Theater werden. Auf die Gaze werden Szenen an der Bar, aber auch in der Natur projiziert. Die Zersplitterung des Ichs in verschiedene Identitäten findet hier eine ästhetische Entsprechung. Bagiński glättet den Text (Fassung: Joachim Lux, Wiktor Bagiński). Das, woran man sich stößt, die Behauptung der Vorherrschaft des alten Mannes, tatsächlich fühlt sich Haller ja mit Ende vierzig steinalt, kommt kaum vor. Mehr noch, er besetzt die Rolle des Steppenwolfs mit Moses Leo, der Deutsch-Südafrikaner ist. „Für mich ist der Steppenwolf so wichtig, weil es so viele Ähnlichkeiten zwischen den Erfahrungen eines Schwarzen/eines Nicht-Weißen in einer Weißen Gesellschaft und den Erfahrungen des Steppenwolfs gibt“, sagt der Regisseur in einem Interview, das im Programmheft zu lesen ist. Etwa in der Mitte seiner gut 100-minütigen Inszenierung hat Bagiński einen Passus eingefügt, der eben dies thematisiert. „Ist das ein Stück über Rassismus, über weiße Kulturinstitutionen, ist das über uns?“, lässt er fragen und dann weiter: „Ich sehe deine Hautfarbe. Also doch ich, gegen alle“, lautet das vorläufige Resümee der Figur von Martin Hohner und macht so die Weißen zu den Ausgegrenzten. Dieser Steppenwolf ist jung, weiß sich zu kleiden, trägt einen bordeauxfarbenen Anzug und eine stylische Brille zum akkurat gestutzten Bart und messerscharf gezogenen Scheitel.
Allein Bagińskis Lesart ist mehr als wohlwollend und will nicht so recht funktionieren, da Rassismus eine Zuschreibung ist, der Weltekel des Steppenwolfs jedoch immer auch durch eine Kränkung entstanden ist. Zunehmend wird die Inszenierung beliebig. Dazu gehören alberne lokale Anspielungen ebenso wie „Born to be wild“ von der Band Steppenwolf. Und am Ende lässt Bagiński den Autor selbst zu Wort kommen (Sherona Dallmann), der über die verschiedenen Missverständnisse seines Textes reflektiert. Wohl wahr.

Weitere Vorstellungen: www.theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Martin Hohner, Moses Leo und Janna Horstmann in der Inszenierung des Steppenwolfs: Foto: Rainer Muranyi