„Schein oder Sein. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts“: Ausstellung im Museum LA8 in Baden-Baden

Theaterbegeisterung und Selbstdarstellung

Selbstdarstellung findet heute vornehmlich in den sozialen Medien statt. Das Bürgertum im 19. Jahrhundert musste noch mehr Auwand betreiben: Man ging mit teuren Kostümen ins Theater, wo man sowohl auf als auch vor der Bühne seine Rolle spielte. Das Museum LA8 in Baden-Baden widmet diesem „Schein oder Sein“ die Ausstellung zu seinem zehnjährigen Jubiläum.

Anton Radl nach Giorgio Fuentes: Bühnendekoration der Oper Palmira, Prinzessin von Persien, um 1810, kolorierte Aquatinta.

„Was für ein Theater!“, sagt man gern auch dann, wenn es gar nicht um eine Theateraufführung geht, sondern um Auseinandersetzungen im Alltag. Der wird von vielen, mehr oder weniger begnadeten, Selbstdarstellerinnen und Selbstdarstellern bevölkert. Heute findet diese Selbstdarstellung in den sozialen Medien statt. Im 19. Jahrhundert war das noch etwas mühsamer, aber das wohlhabend und einflussreich werdende Bürgertum wusste sich zu helfen. Man ging ins Theater, um zu sehen und gesehen zu werden, man trug teure Kostüme und spielte seine Rolle, auf ebenso wie vor der Bühne. Unter dem Titel „Schein oder Sein. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts“ beleuchtet das Museum LA8 in Baden-Baden die Theaterbegeisterung und Selbstdarstellung unserer Vorfahren.

Es gab kein Fernsehen, kein Internet, kein Streaming. Wer Unterhaltung wollte, musste mehr tun, als zur Fernbedienung zu greifen. Deshalb ging, wer es sich leisten konnte, oft und gern ins Theater. Dort wurden die Stücke immer bürgerlicher. Im 18. Jahrhundert hing der Bühnenhimmel noch voller Götter, Helden und Herrschern. Im 19. Jahrhundert spiegelte das Bürgertum sich selbst, seine Empfindungen, Moralvorstellungen und Probleme. Im Familienkreis wurden angesagte Stücke gern zuhause nachgespielt, in so genannten Papiertheatern. Einige historische Papiertheater sind im Museum LA8 zu sehen, komplett funktionstüchtig mit hintereinander gestaffelten Bühnenbildern und den Figürchen, die hier die Hauptrollen übernehmen. Viele der Stücke wurden so oft zu Hause gespielt, dass die Familienmitglieder nicht nur jede Rolle auswendig konnten, sondern sogar umtexteten.

Dank der Zusammenarbeit mit dem Theater Baden-Baden könnten die Ausstellungsbesucher selbst in eines der nach historischen Vorbildern genähten Kostüme schlüpfen, auf eine vorbereitete Mini-Bühne steigen und loslegen. Daneben wartet eine Windmaschine auf ihren Einsatz. Die Vorliebe für Laienaufführungen im Freundes- und Bekanntenkreis lieferte dem französischen Karikaturisten Honoré Daumier reichlich Stoff. Die Ausstellung bietet eine erheiternde Auswahl seiner Karikaturen zum Thema Theater. Zeitlos sind die Probleme der zu engen Zuschauerräume, der auf die Beine begrenzte Blick von den ersten Parkettreihen aus auf die höher gelegene Bühne, und viel zu früh ins Theater mitgeschleppten Kleinkinder. Nicht zu vergessen, dass die verdienten Darsteller weder jünger noch schlanker werden und irgendwann nicht mehr so recht zu ihren Rollen passen…

Das alles hinderte das Bildungsbürgertum nicht daran, selbst die heroische Pose zu üben. Man konnte sich als Romeo und Julia verewigen lassen, wie in dem Gemälde von Anselm Feuerbach, das die Ausstellung schön in den Blick rückt. Oder man stattete sein Heim mit Requisiten aus, so dass es eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einer Bühne bekam. Das um 1890 fotografierte Atelier des Künstlers Gustav Krausche zeigt ihn unter einem Baldachin thronend, umringt von Gemälden und Nippes.

Sollte ein besonders inspirierendes Bühnenbild nur schwer im Wohnzimmer umzusetzen sein, begnügte man sich mit einem Bild vom Bühnenbild. Gern in Farbe gemalt. Auf diese Weise kam die säulengeschmückte Pseudo-Antike des Bühnenbildners Giorgio Fuentes zur Oper „Palmira, Prinzessin von Persien“ in die gute Stube. Interessant ist der Hinweis, dass der seinerzeit sehr begehrte Bühnenbildner Fuentes der Stadt Frankfurt am Main nach einigen Jahren zu teuer wurde. Da siegte das monetäre Sein über den schönen Schein.

Was heute das Selfie, war damals die Atelierfotografie. In der Ausstellung werden die Parallelen unterstrichen. Hier der Schauspieler als Hamlet, den Totenschädel in der Hand, kurz vor der Frage „Sein oder nicht sein“. Dort der Bürger, die Visitenkarte in der Hand, als sei es eine Szene in einem Stück. Wahrscheinlich spielte er im Atelier die Rolle seines Lebens. Bis zum 8. September heißt es im Museum LA8, das mit dieser Ausstellung sein 10-jähriges Jubiläum feiert, „Schein oder Sein“.

Was: „Schein oder Sein. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts“
Wann: bis 8. September 2019, Di bis So, 11 bis 18 Uhr
Wo: Museum LA8, Lichtentaler Allee 8, 76530 Baden-Baden
Web: www.la8.de

Bildquellen

  • kultur_joker_museum_la8_scheinodersein_c_david_hall: Anton Radl nach Giorgio Fuentes: Bühnendekoration der Oper Palmira, Prinzessin von Persien, um 1810, kolorierte Aquatinta., Foto: Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum. Foto: David Hall