„Schauinsland. The Misfortune of the English“: ein dröger Musiktheaterabend zum Stadtjubiläum

Es ist dunkel im Freiburger Theater. Neun Personen stehen in einer Reihe auf der Bühne. Die Klangfläche, die Streichquartett, E-Bass und Schlagzeug mit elektronischer Unterstützung entstehen lassen, beginnt als kühles Rauschen. Immer lauter werden die Klänge und immer bedrohlicher. Ein lang gezogenes Crescendo erhöht die Spannung. Der starke Beginn von „Schauinsland. The Misfortune of the English“ lässt Schlimmes vermuten. Das mehrfach verschobene Auftragswerk des Freiburger Theaters zum Stadtjubiläum erzählt die Geschichte von einer vermeidbaren Katastrophe – von Hochmut und fehlender Verantwortung. Am 17. April 1936 waren 27 englische Schüler im Alter zwischen zwölf und siebzehn Jahren in Freiburg mit ihrem Lehrer zu einer Wanderung über den Schauinsland nach Todtnauberg aufgebrochen. Nach einem Wintereinbruch kamen fünf davon ums Leben, der Rest wurde von Bewohnern aus Hofsgrund gerettet. Der Freiburger Historiker Bernd Hainmüller hat in seinem im Rombach-Verlag erschienen Buch „Tod am Schauinsland“, auf dessen Grundlage das Musiktheater entstand, die Schuld des Lehrers nachgewiesen und den Missbrauch des Dramas als Propagandacoup der Nationalsozialisten aufgezeigt.
Eigentlich wollte das Freiburger Theater den Text der englischen Autorin Pamela Carter als Theaterstück spielen. Die flächige Textstruktur ohne echte Rollen sprach dagegen, also gab man den Auftrag dem Musiktheaterkollektiv „Kommando Himmelfahrt“ (Jan Dvořák, Thomas Fiedler, Julia Warnemünde). Nach achtzig zähen Minuten, in denen die Spannung kontinuierlich abfällt und die Musik vor allem um sich selbst kreist, hinterlässt der Abend einen enttäuschenden Eindruck. Das Hauptproblem liegt in der Vorlage. Wie möchte man die Perspektive auf die Kinder betonen, wenn sie gar nicht selbst zu Wort kommen? Ihre Gedanken werden vom Erzähler, der auch immer wieder in die Rolle des Lehrers schlüpft, auf Deutsch und Englisch formuliert. Fabian Gerhardt bewältigt die Textmengen mit Disziplin, Wandlungsfähigkeit und Ausdauer, aber auch er kann das missglückte Libretto nicht retten. Diese One-Man-Show ist ein Himmelfahrtskommando, bei dem in der besuchten Vorstellung (20.6.) auch noch die Videos von Carl-John Hoffmann ausfallen.
Die neun Mädchen und Jungen der Statisterie, die gelegentlich ein einstimmiges Lied singen, aber sonst nur stumm auf der kleinen, naturalistischen Guckkastenbühne von Eylien König agieren, kommen nicht zu Wort. Die eigentlichen Hauptdarsteller rücken nicht näher und bleiben anonym. Es fehlt jede Interaktion. Eine höchst dramatische Geschichte wird auf eine völlig undramatische Weise erzählt: Das ist der Kardinalfehler an diesem Abend. Leider kann auch die Musik keine Sogwirkung erzeugen. Außer ein paar in die Dauerschleife geschickte Patterns für Streichquartett, Liegetönen und gebrochenen Akkorden auf dem Vibraphon, gehärtet von E-Bass (John Eckhardt) und Drumset (Marco Klotz), fällt Komponist Jan Dvořák nicht viel ein (musikalische Leitung: Hiroki Oijka). Auch der vom Band hineinmontierte Irving-Berlin-Schlager „Isn’t This a Lovely Day?“ wirkt zu gewollt. Die von Janina Staub im weißen Tüllkleid kristallin intonierten Songs sind kurze Lichtblicke im düsterer werdenden Setting, wenn Fabian Gerhardt im zunehmenden Schneesturm seine Schutzbefohlenen zum Weitergehen manipuliert und von der Widerstandskraft der Engländer im Ersten Weltkrieg schwärmt.

Letzte Vorstellung: 18.07.21, 19 Uhr. www.theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Fabian Gerhardt: Foto: Paul Leclaire