Routinen der Selbstfürsorge: „The Voyage inward“ von Monika Keller im Kammertheater des E-Werks
Da soll sich mal noch jemand über die Servicewüste Deutschland beschweren. Monika Keller jedenfalls will, dass wir uns wohlfühlen. „Sitzt Du bequem? Was brauchst Du gerade, Popcorn?“. Ja, warum eigentlich nicht Popcorn. Wer sich in Monika Kellers Solo „The Voyage Inward“ im Kammertheater des E-Werks wie in einer Körpertherapiestunde fühlt, geht wohl nicht ganz fehl. Keller ist nicht nur Tanzlehrerin, sondern auch Yogadozentin. Ihr etwa 50-minütiges Stück beruht, so ist im Programm nachzulesen, auf einer fünfwöchigen „inneren Reise“ auf der Insel Guadeloupe. Und es gliedert sich in sieben Schritte, die viel mit Detox, Heilung und der Ausrichtung des inneren Kompasses zu tun haben. Es endet mit „Prioritize the relationship with yourself“. Die konsequenteste Form eines Solos ist zweifellos die Selbstpriorisierung.
Zugegeben, die Zeiten sind herausfordernd, die Natur und diverse Routinen können da eine Selbstversicherung sein. Doch gut möglich, dass es derzeit Menschen gibt, die lieber in einem Retreat auf Gouadeloupe wären als in ihrem Krisen- oder Kriegsgebiet. Die Wahl hat nicht jeder. Über die Kolonialgeschichte der Insel hätte die eben abgelaufene Ausstellung im Kunstverein Freiburg „Was weitergeht“ etwas erzählen können. Keller, in Top und Leggings, letztere werden später in kurze Hosen eingetauscht, ist eine so kraftvolle wie elegante Tänzerin. Die Außenwelt fällt sie in Form von Herzkrämpfen an, es würgt ihr die Kehle oder es reißt als Stroboskoplicht blitzartig den Raum auf. Kellers Körper reagiert mit Zucken auf diese Kräfte. Beschwichtigt werden sie durch Bewegungsmuster, die an Yoga oder Entspannungsübungen erinnern, manchmal schlägt sie die Arme um sich selbst. Mitunter ist rechts eine Art Bullauge auf die Wand projiziert, es sieht nach Wasser aus und überhaupt hört man Meeresrauschen. Dann wieder ist eine Männerstimme zu hören, die auf Englisch von innerem Wachstum erzählt. „Die einzige Begrenzung bist du selbst“, heißt es da von dem indischen Guru und Bestsellerautor Sadhguru. Keller, die bevor sie vor eineinhalb Jahren nach Freiburg kam, lange in Israel gelebt und gearbeitet hat, hat auch in der Wüste performt. Ihre Bewegungen und Sprünge sind angetan sich gegenüber einer derartigen Kulisse zu behaupten oder sich zumindest in einem großen Tanzstudio auszubreiten. Ein Kammerstück, wie es für die Ausmaße der Bühne im E-Werk angemessen gewesen wäre, ist „The Voyage Inward“ nicht. Denn diese innere Reise dringt naturgemäß ins Weite. Sicher, es wäre nicht das erste Mal, dass sich zeitgenössischer Tanz durch Lebensreformbewegungen erneuert und sein Bewegungsvokabular erweitert, doch Kunst braucht Brüche und Verdichtungen. Dienstleistungen eher nicht.
Bildquellen
- The Voyage inward: Foto: Nicolas Hudak Counter Film