Leichtigkeit im goldenen Käfig

Rossinis „Barbier von Sevilla“ eröffnet spritzig die Saison der Straßburger Oper

Wir sind in Sevilla. Das sieht man nicht nur an den blauen Azulejos, den maurischen Kacheln, die das Bühnenbild bestimmen. Auch der schmiedeeiserne Balkon, die vorbeiziehende Prozession und die goldene Madonna in der Wandnische vermitteln Lokalkolorit. Der Abend in der Straßburger Oper beginnt in der trockenen Akustik des Hauses mit leichten, geradezu filigranen Figuren im Orchestergraben.

Das Orchestre symphonique de Mulhouse unter der Leitung von Michele Gamba braucht bei der Premiere von Pierre-Emmanuel Rousseaus Inszeniereung einige Szenen, ehe die Rädchen genau ineinandergreifen und die Schnitte mit dem Lineal gezogen sind. In den ersten Minuten könnte man meinen, der Abend verkomme zu einem biederen Ausstattungstheater. Das Tänzchen der bemantelten Choristen in der Balkonszene, wenn der Graf seiner Rosina ein Ständchen singt, ist bieder. Die Akteure agieren mit angezogener Handbremse.

Aber mit dem Auftritt von Leon Kosavic als Figaro ändert sich das Bild. Der kroatische Bariton ist darstellerisch und vor allem auch vokal eine echte Vitaminspritze. Mit seinem zerfetzten Trägershirt, den roten Espandrillos und seinen Tattoos fällt er sofort auf bei diesem noch etwas drögen Kostümfest, das aber bald schon, angetrieben von der vibrierenden Musik, zu einem echten Knaller wird. Nicht nur Kosavic glänzt mit geschmeidiger Stimmführung und großer vokaler Strahlkraft.

Auch Marina Viotti setzt als Rosina gleich bei ihrer ersten Arie „Una voce poco fa“ mit satter Tiefe und spektakulären Koloraturen die Messlatte hoch. Sie wird dabei von ihrer als komische Jungfer gezeichneten Zofe Berta (Marta Bauza) frisiert – ihre Spitzentöne werden so zu Schmerzensschreien, wenn die Bürste mal ziept. Das ist Humor, der direkt aus der Musik entwickelt wird und dem Abend eine wunderbare Leichtigkeit verleiht. Das schmucke Haus ist für Rosina aber auch ein goldener Käfig. Da hilft es auch nicht, dass sie ihre Füße im Pool baden kann. Diese Doppelbödigkeit hat Pierre-Emmanuel Rousseau dezent mitinszeniert.

Vor allem versteht es der Regisseur, echte Typen zu entwickeln. Carlo Lepore ist als bassmächtiger Bartolo ein ältlicher Geck, der sich bei seinen aufflammenden Gefühlen zu Rosina schön zum Affen macht. Sein Kumpel Basilio (stark: Leonardo Galeazzi) zeichnet Pierre-Emmanuel Rousseau als lüsternen Zauselmönch, der ein wenig an Catweazle erinnert. Seine perfekt getimte Verleumdungsarie wird vom Orchester schön befeuert. Ob der Graf einen betrunkenen Soldaten mimt oder sich als Musiklehrer verkleidet – alles wird in Straßburg wunderbar ausgespielt und entwickelt manches Mal durchaus anarchische Komik.

Trotzdem geraten die Figuren nicht zur Karikatur. Und auch die Musik überdreht nicht, sondern bleibt im grünen Bereich, wobei man sich bei mancher Steigerung vielleicht doch noch ein bisschen mehr Speed wünschen würde. Zum großen Finale im letzten Akt, wenn Graf Almaviva endlich seine Rosina bekommt und Bartolo dumm aus der Wäsche schaut, reißt nochmals die Musik alles mit.

Die Akteure tanzen – selbst Bartolo schnippt mit den Fingern und ringt sich ein Lächeln ab. Großer Premierenapplaus für einen vitalen, humorvollen „Barbier von Sevilla“.

Was: „Barbier von Sevilla“ von Gioachino Rossini
Wann: Weitere Vorstellungen: 7. Oktober 2018, 15 Uhr; 9. Oktober 2018, 20 Uhr
Wo: La Filature, 20 Allée Nathan Katz, 68090 Mulhouse
Web: www.operanationaldurhin.eu / www.lafilature.org

Bildquellen

  • kultur_joker_theater_barbier_sevilla_opera_national_du_rhin_c_klara_beck: Klara Beck