Peymann-Dämmerung am Berliner Theaterhimmel

Nach 18 Jahren verlässt Claus Peymann seinen Intendantenstuhl im legendären Theater am Schiffbauer Damm

Mit dem Abgang dieses dann 80-jährigen Theaterriesen geht eine überaus erfolgreiche Ära zu Ende, die alles, was zu hochartifiziellem, teilweise stilbildendem und im Brechtschen Sinne eingreifendem Theater inklusive einiger Skandale gehört, in sich barg. Statistisch drückt sich dies in 190 Premieren, 10.332 Vorstellungen, 40.879 Minuten (=nahezu ein Monat) Applaus und 3.703.647 Besuchern aus.

Claus Peymann (rechts) in voller Aktion, assistiert von den Schauspielern Marina Senckel und Raphael Dwinger
Claus Peymann (rechts) in voller Aktion, assistiert von den Schauspielern Marina Senckel und Raphael Dwinger

Bis Spielzeitende kommt da noch einiges hinzu, denn diese Werte waren eine Momentaufnahme am 13. Mai, als der scheidende Theatermacher unter dem Titel „Peymann räumt auf“ letztmalig als Auktionator Kostbarkeiten aus dem Theaterfundus im Hinterhof des Berliner Ensembles versteigerte. Dies hatte er schon mehrfach in den Jahren zuvor getan, diesmal jedoch bezog sich das Aufräumen nicht nur auf Theaterkostüme und Requisiten. An diesem sonnigen Samstagnachmittag betrat er würdevoll im schwarzen Gehrock und Zylinder ganz im Stile einer Mischung aus Zirkusdirektor und Impresario die im Hof aufgestellte Pawlatschenbühne, auf der sonst ein Programm mit Wiener Liedern präsentiert wird.

Streitbar wie eh feuerte er gleich nach einer launigen Begrüßung seine ersten Breitseiten ab. Dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und dem mittlerweile abgelösten Kulturstaatssekretär Tim Renner verpasste er das Etikett einer „kulturpolitischen Katastrophe“ unter anderem wegen deren Rolle bei der Neubesetzung der Intendanz an der bisher von Frank Castorf geleiteten Volksbühne mit dem Museumsmann Chris Dercon. Mit Blick aufs eigene Haus grollte es aus ihm: „Es geht um nichts weniger, als um die Auslöschung des Berliner Ensembles“. Seinem Nachfolger warf er „Kahlschlag“ vor, denn von 35 engagierten Ensemblemitgliedern seien bei 32 die Verträge nicht verlängert worden und auch ein Großteil des übrigen künstlerischen Personals werde „rausgeschmissen“.

Speziell verwies er auf Manfred Karge, einer der letzten übriggebliebenen Schauspieler und Regisseure, die im Berliner Ensemble noch mit Brecht zusammen gearbeitet haben. Gerade er und mit ihm viele ältere Kolleginnen und Kollegen lägen jetzt auf der Straße und hätten bei dem derzeit herrschenden „Jugendwahn“ an den Theatern wenig Chancen auf ein neues Engagement. Man kämpfe derzeit mit den Senatsverantwortlichen um einen Sozialplan, den man mit dem Erlös der Auktion aufstocken wolle. Kokett zum vergnüglichen Teil des Nachmittags überleitend fragte er, sich als Fußballfan outend, nach dem Stand des Bundesligaspiels zwischen Hoffenheim und Werder Bremen, dem Verein, bei dem er einst als „wieselflinker Linksaußen“ aufgelaufen wäre und der er schließlich „bis heute geblieben sei“.

Dann griff er zum Hammer und eröffnete vor mehr als 1000 Besuchern den Versteigerungsmarathon von über 100 Posten aus dem Kostüm-, Möbel- und Requisitenfundus. Für viele Theaterbegeisterte und treue Begleiter der Peymann Ära war dies eine Gelegenheit, neben einigem Krimskrams auch die eine oder andere Devotionalie zu erwerben und das Geld saß mitunter ziemlich locker. Peymann verstand es, die Preise hochzutreiben. Ein Rapier (Degen, Schwert), das Claus Maria Brandauer als Wallenstein benutzt hatte, adelte er mit dem Hinweis, dass daran noch der Handschweiß des Bühnen- und Filmstars klebe und prompt wurden 250 Euro erzielt.

Eine Silberfuchs-Stola, die Cornelia Froboess auf der Bühne getragen hatte, lag noch höher im Kurs. Zusätzlichen Anreiz schaffte Peymann mit Zugaben von Gläsern mit „handgeschöpftem Gelee aus Brombeeren direkt aus meinem Garten in Köpenick“, die er beim Überschreiten von runden Zahlen beim Gesamterlös verschenkte. Eine mit vielen Litzen besetzte in himmlischem Blau gehaltene Phantasieuniform pries er als geeignetes Kleidungsstück für den Erwerber an, seinem Nachfolger Oliver Reese bei dessen Eröffnungspremierenempfang „die Schau zu stehlen“. Bei einem Original eines von Helene Weigel geschriebenen und unterzeichneten Briefs wurde der taff-selbstbewusste Rhetoriker fast melancholisch.

Die Weigel sei vor allem als große Schauspielerin in Erinnerung geblieben, sie hätte aber auch als guter Geist im Berliner Ensemble „den gesamten Laden zusammen gehalten“ und fürsorglich Schauspielern und allem übrigen Personal unermüdlich Wohnungen, Telefonanschlüsse oder ähnliches besorgt, was im Ostberlin der Nachkriegszeit nicht leicht gewesen sei. In dem zu versteigernden Brief habe sie ihren Kollegen beim Deutschen Theater eine im BE beschäftigte Toilettenfrau für eine dort ausgeschriebene und höher dotierte Stelle als Pförtnerin empfohlen, da diese durch den Tod ihres Mannes mehr Geld für die Versorgung ihrer Kinder brauche. Nach mehr als fünf Stunden in der Auktionatorsrolle konnte ein heiserer Peymann das stolze Ergebnis von knapp 15.000 Euro bekanntgeben. Symbolisch könnte man diesen „Ausverkauf“ als Beginn eines Rückzugs sehen. Nicht aber für Peymann.

Für ihn selbst ist es unvorstellbar, sich nun auch im Alter von 80 Jahren zur Ruhe zu setzen und er bleibt der Theaterwelt noch hoffentlich sehr lange als freier Regisseur erhalten. In der nächsten Spielzeit wird er in Stuttgart seine Version von Shakespeares „King Lear“ präsentieren, weitere Inszenierungen in Wien und in Frankreich stehen in Aussicht. Für Theaterfreunde ist die gesamte Ära Peymann von 1999 bis 2017 in zwei prachtvoll editierten und vom Berliner Ensemble herausgegebenen Büchern unter dem Titel „Das schönste Theater – Bertolt-Brecht-Platz Nr. 1“ dokumentiert und im Buchhandel erhältlich. Nicht nur vom Gewicht her schwerwiegend (zusammen nahezu 5 kg) sind dort in unzähligen Fotos , Probenberichten, Bühnenbild- und Kostümskizzen alle Inszenierungen dokumentiert und viele der während dieser Zeit am BE tätigen Regisseure, Autoren und Schauspieler kommen darin zu Wort. Ein schönes Vermächtnis einer bedeutenden Theaterperiode.

Erich Krieger