Otto Freundlich: Pionier der Abstraktion

„Kosmischer Kommunismus“ – Ausstellung im Kunstmuseum Basel

Die Wechselwirkung von Farben und Formen erzeugt Kraftfelder, Energie, Bewegung und löst alles Dingliche auf – das war sein Anliegen. Otto Freundlich (1878-1943) gehört zu den ersten und originellsten Vertretern der Abstraktion, ist aber wenig bekannt; vor 80 Jahren wurde sein bedeutendes Werk als „entartet“ an den Pranger gestellt sowie teils zerstört – und er selbst in einem Konzentrationslager ermordet. Nun zeigt das Kunstmuseum Basel eine Retrospektive, die in Kooperation von Museum Ludwig in Köln und Musée de Pontoise bei Paris entstanden ist.

Die Schau mit Gemälden, Skulpturen, Glasfenstern und Mosaiken sowie neuen Forschungsergebnissen war zunächst erfolgreich in Köln zu sehen; sie vermittelt auf beeindruckende Weise Freundlichs künstlerische Entwicklung und sein philosophisches Denken.

Seit 1908 kommt Otto Freundlich im Pariser Bateau-Lavoir mit den Begründern des Kubismus in Kontakt und findet bald danach mit Ölbildern, Pastellen, Holzschnitten und Plastiken sukzessive zur abstrakten Kunst. Bis zum Ersten Weltkrieg hielt er sich meist in Paris auf, beteiligte sich aber gleichzeitig in Berlin und Köln, wo er von 1914 bis 1924 lebte, an Ausstellungen. Im September 1918 stellt die expressionistische Zeitschrift „Die Aktion“ seine Arbeiten vor, er verbindet sich mit der Berliner November-Gruppe und Dada-Köln (1919), geht aber 1924 zurück nach Paris und steht bis 1934 dem Künstlerbund „Abstraction-Création“ nahe.

Otto Freundlich hat sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit allen virulenten Strömungen der Kunst auseinandergesetzt, orientiert sich selbst aber zunächst an der angewandten Kunst und schließt mit Mosaiken und Glasmalereien an Traditionen des Handwerks an. Eine Zeit lang studiert er intensiv die Kathedrale von Chartres und findet in der leuchtend offenen Flächigkeit ihrer Fenster das Prinzip der Unbegrenztheit verwirklicht.

Die Überwindung des Gegenständlichen hatte für Freundlich eine philosophische Dimension, denn alle dingliche Wahrnehmung sei von Besitzdenken und der dreidimensionalen Illusion unserer Alltagserfahrung beherrscht; die abstrakt komponierten Form- und Farbflächen seiner Bilder verweisen dagegen auf das Raum-Zeit-Gefüge der Relativitätstheorie, auf ein grenzenloses Kontinuum „zwischen Welt und Kosmos, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mein und Dein (…)“. Freundlich bezeichnet diese Vorstellung von einem allesverbindenden Universum als „kosmischen Kommunismus“ und versteht sich als politischer Künstler, wenn auch nicht im Sinne von Grosz oder Kollwitz.

Den Nazis war Freundlichs sensibel humane Weltauffassung ein Dorn im Auge, ebenso seine Herkunft als assimilierter Jude. Als 1937 in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ startete, geriet er besonders ins Visier: seine Skulptur „Großer Kopf“ (1912), die sich formal an den rätselhaften Steinstatuen der Osterinsel orientiert, figurierte auf dem Umschlag des Ausstellungsführers mit dem gefälschten Titel „Der neue Mensch“. Des Weiteren war auf mindestens einer Station dieser perfiden Wanderausstellung eine Falsifikation zu sehen, die physiognomische Merkmale der Originalplastik – Lippen, Nase, Stirn – grob überzeichnet.

Zur Ausstellung ist ein umfassender Katalog erschienen, der viel Unbekanntes enthält, u.a. erstmals die vollständige Fassung von Otto Freundlichs Text „Bekenntnisse eines revolutionären Malers“ sowie als Faksimile ein Verzeichnis seines Frühwerks, das er 1941 – bereits verfolgt und im Versteck lebend – erstaunlicherweise aus dem Gedächtnis niedergelegt hat. Mit spannenden und gelehrten Textbeiträgen von Julia Friedrich, J. Heusinger von Waldegg, Geneviève Debien, Denise Vernerey, Christiane Wanken, Adolf Muschg u.a. (250 Farbabbildungen, 352 Seiten. Prestel-Verlag 2017).

Cornelia Frenkel

Kunstmuseum Basel. St. Alban-Graben.
Di – So 11 – 18 Uhr. Do 10 – 20 Uhr. Bis 10. September 2017.
www.kunstmuseumbasel.ch