Die Geister im Kopf

Peter Carp inszeniert, Gerhard Markon dirigiert eine herausragende Produktion von Benjamin Brittens „The turn of the screw“ am Theater Freiburg

Eine Gouvernante kommt in ein englisches Landhaus, um zwei Kinder zu betreuen. Eigentlich sollte nur noch die Haushälterin Mrs. Grose in dem prachtvollen Anwesen wohnen, aber schon bald tauchen zwei weitere Gestalten auf, die als Geister von Verstorbenen gedeutet werden. Die Idylle wandelt sich in Schrecken. Die rätselhafte Vergangenheit wird zur Bedrohung. Am Ende ist ein Kind tot. Und die Gouvernante verstummt.


Benjamin Brittens Kammeroper „The turn of the screw“ (Die Drehung der Schraube), uraufgeführt 1954 auf der Biennale in Venedig, geht auf die gleichnamige Novelle von Henry James zurück. Eine Gespenstergeschichte voller Andeutungen und Verdachtsmomenten, aber ohne sicheren Boden. Auch Brittens Musik bleibt in der Schwebe zwischen vertraut und fremd, zwischen hell und dunkel. Die Zwischenspiele des 13-köpfigen Orchesters, die die insgesamt sechzehn Bilder miteinander verbinden, sorgen dafür, dass die Spannung in diesem Psychodrama nie abfällt. Nun hat das Freiburger Theater mit seinem Intendanten Peter Carp Brittens eher selten auf dem Spielplan stehende Oper in einer szenisch und musikalisch bestechenden Produktion herausgebracht, die den Zuhörer von Beginn an hineinzieht in diese rätselhafte Geschichte, die Raum lässt für viele verschiedene Deutungen. Peter Carp, der nach seinem subtilen „Eugen Onegin“ in der letzten Saison seine zweite Operninszenierung in Freiburg vorlegt, zeigt die Geschichte ganz aus der Perspektive der Gouvernante, die als streng erzogene, schreckhafte Pastorentochter erst jetzt Sinnlichkeit und Sexualität entdeckt. Die Geister entstehen in ihrem Kopf. Die Reise zum Landsitz wird zum Trigger, der einen tiefen Blick in ihre Psyche ermöglicht.
Nach dem von Joshua Kohl ganz schwerelos gesungenen Prolog (Klavier: Andrea Mele), den er als Conférencier am Mikrofon zum Besten gibt, nimmt das bedrohliche Geschehen seinen Lauf und die Schraube beginnt sich zu drehen. Solen Mainguené knöpft sich als Gouvernante die Bluse zu, als sie im gediegenen Landhaus (Bühne: Kaspar Zwimpfer) ankommt und sie von der Haushälterin Mrs. Grose (mit farbenreichem Mezzo: Judith Braun) und den beiden Kindern freundlich in Empfang genommen wird. Aber das Halbdunkel, in dem der Regisseur das Drama spielen lässt (Licht: Dorothee Hoff), deutet schon an, dass hier Vieles im Verborgenen liegt. Das Philharmonische Orchester Freiburg verführt unter der souveränen, präzisen Leitung von Gerhard Markson von Beginn an zum Zuhören. Die Soli in den Holzbläsern (Flöte: Doris Marronaro, Oboe: Luis Teo, Klarinette: Simone Weber, Fagott: Clarens Bohner) sind genau aufeinander abgestimmt. Die Balance innerhalb des herausragend besetzen Ensembles (1. Violine: Maria Azova, Horn: Isabel Forster, Schlagzeug: Klaus Motzet), aber auch zwischen Bühne und (leicht erhöhtem) Orchestergraben ist perfekt. Der Dirigent gibt wirklich jeden Einsatz und sorgt nicht nur dafür, dass das Timing in dieser Dialogoper stimmt. Markson zeigt auch Sinn für feine Schattierungen, die bei den Panikattacken auch schrill und grell werden können. Zu den als Variationen komponierten Zwischenspielen, die an Alban Bergs Verwandlungsmusiken erinnern, setzt Peter Carp das Bühnenbild in Bewegung. So entstehen immer neue, variierte Räume, so kann man das Drehen der Schraube optisch wahrnehmen.
Solen Mainguené zeichnet mit ihrem beweglichen, über viele Farben verfügenden Sopran ein packendes Porträt der Gouvernante. Mitten in die Leichtigkeit, als sie im kurzen Sommerkleid am Boden liegt (Kostüme: Gabriele Rupprecht) und den Moment genießt, bricht der Schrecken, wenn ein fremder Mann am Fenster erscheint. Immer wieder gibt es diese Schockmomente, die Mainguené auch darstellerisch packend herausarbeitet. Joshua Kohls Quint ist mehr Verführer als böser Geist. Seine hell timbrierten, verschlungenen Linien sind echte Kostbarkeiten. Mit der unheimlichen, dunkel gefärbten Miss Jessel von Inga Schäfer erhält auch die zweite Untote des Librettos ein klares Profil. Mit Thomas Heinen als Miles und Katharina Bierweiler als Flora, beide vom Chor Cantus Juvenum Karlsruhe, besitzt die atmosphärisch dichte Produktion auch zwei herausragende Kindersolisten, die mit ihren kristallinen Stimmen eine ganz eigene Klangwelt entstehen lassen. Am Ende dieses permanenten Schwebezustands wird der Regisseur doch ein wenig klarer und deutet Missbrauch an, wenn sich die Gouvernante ganz nah neben Miles aufs Kinderbett setzt und ihn ein wenig zu zärtlich und lange am Kopf streichelt. Dass sie mit Quint um die Gunst des Jungen streitet und echte Eifersucht entwickelt – daran besteht kein Zweifel. „Quint, Du Teufel“, ruft Miles am Ende in höchster Erregung. Der Vertraute erscheint als Priester im Römerkragen.
Die nächsten Vorstellungen: 7./18./20. Dez. 2019, 23./31. Jan. 2020.

Georg Rudiger

Bildquellen

  • pic_1572511670_da1981080cca361dc12f95a502e99435: Paul Leclaire