Das Jugendstück „Satelliten am Nachthimmel“ im Theater im Marienbad

Ein Kaleidoskop von Gefühlen

„Ich hab ein schwarzes Loch im Bauch“, behauptet Joni alias Lisa Bräuniger. Breitbeinig steht sie mit ihrem Plastikeimer-Helm auf einer riesigen, silbernen Drehscheibe im Schwimmbecken des Theaters im Marienbad (Ausstattung: Karen Simon). Über ihr schwebt ein Gespinst aus dicken Drähten, die Szene ist in geheimnisvoll-blaues Weltraumlicht getaucht. Um anders sein und Neues denken, um Schmerz, Wut und Mut, um Sinnsuche und Abenteuerlust dreht sich das Jugendstück „Satelliten am Nachthimmel“ des 1984 geborenen Norwegers Kristofer Blindheim Grønskag, das 2018 mit dem Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet wurde und jetzt unter der Regie von Carina Eberle Premiere feierte. Ein Stück wie gemacht für das Ensemble des Theaters im Marienbad: Poetisch, Fantasie strotzend, voller Imagination, Leerstellen und Zwischentönen.

Während Nadine Werner, Daniela Mohr (Mutter), Benedikt Thönes (kleiner Bruder) und Christoph Müller (Vater) noch mit Mikros einen irren Weltraum- und Stadtsound im Comicstil dröhnen, blubbern und sirren (Komposition und Design: Heiner Bomhard), erzählt Joni von Kometen und Weltraumschrott, von der Erde und ihren Eltern. In Szene gesetzt wird das in blitzschnellen Pantomime-Einlagen mit viel Witz: Da kullert Nadine Werner als Pluto und wenig später Christoph Müller als kosmische Schildkröte in Zeitlupe vorbei, da erlebt man die Eltern mit Gästen als aufgekratzte Laber-Kakaphonie, bei der es um Haus, Auto, Urlaub und den neuen Aufsitz-Rasenmäher geht. Bis Joni das Wohnzimmer betritt – dann wird es still. Ihr schwarzes Loch verschlingt jede Freude, denn „Ihre Worte und meine Worte sind nicht das selbe.“ Es muss ein Fehler passiert sein, entweder ist Joni mit ihrem schwarzen Loch im Bauch defekt oder sie wurde vertauscht.
Jedenfalls lässt sie sich nicht unterkriegen: Lisa Bräuniger spielt sie berührend seelenvoll, dabei eigenwillig und mit ebenso viel Kraft wie Verzweiflung. Schließlich kann ihre Joni mit Tellern, Wänden und zum Glück auch mit ihrem Bruder reden, in ihrem Parallelleben ist sie „Laserstrahl-Mondschein“ auf Mission im All. „In meinem Bauch wohnt ein großer Plan und eine kleine Explosion“, teilt sie geheimnisvoll mit. So verwandelt sich ein Akkordeon-Lied zum Punksong mit Headbanging im Stroboskop-Licht und ihrem surrealen Traumfantasien werden auf der Bühne Wirklichkeit: Mit schwarzem Tuch baut sie ein Raumschiff, der Bolzenschneider ist das Steuer– und los geht’s trotz mütterlicher Krokodilstränen-Erpressung mit viel Theaternebel ab ins All.
Dort trifft sie nicht nur 44 Elefanten, sondern auch den Schöpfer aller Dinge: Nadine Werner gibt den Baumeister als hinreißenden Bademützenclown, der auf einer Klappleiter mit viel Slapstick und grünem Schleim hantiert, wild inspiriert, aber ganz ohne Bauanleitung. Eine Hommage an die Kreativität mit tröstlicher Botschaft für Joni: „Wie kannst du falsch sein, wenn niemand weiß was richtig ist?“. Auf ihrer Odyssee à la Alice im Wunderland trifft sie viele Tiere, ihr schlechtes Gewissen und endlich ihre Wahlfamilie, wird zur Weltraumritterin geschlagen und mutiert in ihrer unbändigen Wut und ihrem Hunger zur Weltzerstörerin.
Eine verrückte und immer wieder auch sehr lustige Geschichte, der dank toller Regieideen und beeindruckender Schauspielkunst Großes gelingt: Mit viel Empathie und starken Bildern ein ganzes Kaleidoskop von Gefühlen atmosphärisch einzufangen, ohne diese zu bewerten: Mal traumhaft-traurig, mal federleicht und prall im Moment.
Weitere Aufführungen: 8.12., 16 Uhr, 10./11./19.12., 10 Uhr, 14.12., 19 Uhr, 20.12., 20 Uhr, 23./26.12., 16 Uhr, 5.1., 16 Uhr. http://www.marienbad.org. Ab 10 Jahren.

Marion Klötzer

Bildquellen

  • Satelliten_Plakatfoto_(c)Minz und Kunst Photography für das Marienbad: Minz und Kunst Photography