Mehr als Django Reinhardt

Wenn über Sinti und Roma gesprochen wird, fällt oft das romantisierende wie abwertende Prädikat „Zigeuner“. Menschen, die geigenspielend und im Planwagen von Lagerfeuer zu Lagerfeuer ziehen. Für die Betroffenen ist es nicht einfach, gegen solche groteske Stereotype anzukommen. Ein Anfang ist aber getan, wenn sie selbst die Stimme erheben. Das Radioprojekt „No Country and No Land“ auf Radio Dreyeckland setzt seit Januar hier an. Hinter dem Projekt stehen Frauen aus dem Quartier Auggener Weg / Am Lindenwäldle. Ihre Stimme steht im Mittelpunkt, berichtet von Rassismus, Antiziganismus, Sexismus, aber auch von Selbstermächtigung. Jeden vierten Montag im Monat um 19 Uhr werden historische wie aktuelle Themen behandelt. Denn Unterrepräsentation und Diskriminierung von Sinti und Roma halten bis heute an.
„Aufgrund von Vorurteilen ist es für Sinti und Roma bis heute schwierig, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden.“ Eine der Teilnehmerinnen ist Bildungsberaterin. Für sie ist wichtig, offen gegen solche Vorurteile zu arbeiten. Aus Perspektive der Mehrheitsgesellschaft gelten Sintizzi oft als dumm, weil „ungebildet“. Dabei war es die Gesellschaft selbst, die Sinti und Roma während des Krieges den Schulbesuch verwehrte, nach dem Krieg für sie keine Schulpflicht garantierte. (Nach-)Kriegskinder der Sinti und Roma sind zum Großteil Analphabet*innen. Für die jüngere Generation bleiben alltägliche Diskriminierungserfahrungen. Noch immer bestehen in der Mehrheitsgesellschaft viele Berührungsängste. Davon können alle Projektteilnehmerinnen berichten. Ihr Appell ist klar: Offene Bildungsangebote für Sinti und Roma, eine Beurteilung nach den Fertigkeiten und nicht nach der Ethnie. Werte, hinter denen das freie Radio Dreyeckland steht, ebenso wie die Kooperationspartner des Projekts, unter ihnen das Feministische Zentrum, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend oder die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg.
Erster Kooperationspartner ist aber das Nachbarschaftswerk im Quartier Auggener Weg / Am Lindenwäldle. In Weingarten gelegen, leben die BewohnerInnen hier jenseits des Blicks der Öffentlichkeit. Das Quartier ist historisch gewachsen, Familien leben generationenübergreifend dort. Dennoch haben die hier Lebenden nur wenig Mitspracherecht. Empowerment steht also an erster Stelle. „Es ist selten, dass Sinti oder Roma Radio machen. Wahrscheinlich ist diese Radiosendung die erste ihrer Art. Deshalb bin ich dabei.“ Ein Bekenntnis, das viele der Projektteilnehmerinnen miteinander teilen. Langfristig soll das zunächst auf ein Jahr begrenzte Projekt neue zivilgesellschaftliche Strukturen im eigenen Stadtteil und eine Kommunikationsbasis gegenüber der Mehrheitsgesellschaft bilden. Die Teilnehmerinnen sollen das nötige journalistische Handwerkszeug erlernen, um so ihre Stimme dauerhaft im Raum Freiburg hörbar zu machen.
Dass bei dieser Kulturarbeit auch ein schweres Erbe angetreten wird, beweist die erste Sendung, die am 75. Gedenktag der Befreiung von Auschwitz gesendet wurde. Über Interviews und Reportagen wird Erinnerungsarbeit geleistet, ebenso auch der Anstoß für weitere Bildungsarbeit. Noch immer wird wenig über jene Sinti und Roma berichtet, die in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ums Leben kamen.
Die März-Sendung setzte sich mit dem kulturellen Erbe der Sinti und Roma auseinander. Sinti-Musik stand im Mittelpunkt, Klassiker wie Django Reinhardt, Live-MusikerInnen und moderner Hip-Hop. Dabei kam auch Freude, Lebensgefühl auf. Man merkt den Sendungsmachenden an, dass sie Spaß an ihrem Projekt haben. Das verbindet und macht deutlich: Nur gemeinsame gesellschaftliche Perspektiven sind nachhaltig.
Die nächste Sendung von „No Country and No Land“ beschäftigt sich mit dem Quartier Weingarten und ist am 27. April, 19 Uhr auf Radio Dreyeckland zu hören (102,3 Mhz und im Livestream unter www.rdl.de).