Mahnmal für die Euthanasie-Opfer der Nazis aus dem Dreisamtal enthüllt

Seit kurzem sind im Garten der St. Johannes-Kapelle in Zarten die Namen von 15 bisher unbekannten Menschen aus den Gemeinden des Dreisam­tals in Stein gemeißelt. Ihr Leben wurde – im Rassenwahn der Nazidiktatur als „unwert“ deklariert – in den Tötungsfabriken Grafeneck und Hadamar in den Jahren 1940/41 im Giftgasnebel ausgelöscht. Der Steinbildhauer Daniel Rösch aus Stegen hat die Existenz der Ermordeten und ihr grausiges Schicksal mit einer Namensstele und einer steinernen Skulptur für uns Heutige unübersehbar gemacht.

Die Vorgeschichte
Im September 2018 hatte die aus sieben Schülerinnen und Schülern bestehende Geschichts- AG am Stegener Kolleg St. Sebastian zusammen mit ihrem Lehrer Claudius Heitz begonnen, sich mit den Verbrechen der Naziherrschaft auseinanderzusetzen. Besonderen Blickwarfen sie auf die Morde an über 100.000 Kranken und Menschen mit Behinderungen während der „T4-Aktion“, benannt nach dem Standort ihrer Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4. Der dafür von den Tätern gewählte Begriff „Euthanasie“ (griechisch: Der gute Tod) ist an Zynismus nicht zu überbieten. Dahinter steht die von dem Strafrechtler Karl Binding und dem Freiburger Psychiater und an der Universität lehrenden Professor Alfred Hoche entwickelte Theorie des „Unwerten Lebens“. Die Nazis stützten sich auf deren 1920 veröffentlichte Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“. Darin rechtfertigen die beiden „Wissenschaftler“ das Recht des Staates, sich aus rassehygienischen und volkswirtschaftlichen Gründen solcher „Ballastexistenzen“ zu entledigen. Hoche war als Direktor der psychiatrischen Klinik der Freiburger Universität auch für die psychiatrische Anstalt Emmendingen zuständig, von der aus durch Selektion und Deportation mit den berüchtigten „Grauen Bussen“ insgesamt 1127 der dortigen Patienten in den Tod geschickt wurden. Die Schüler mussten erkennen, dass T4 als erste systematische Tötungsaktion der Nationalsozialisten zum Vorläufer und Prototyp des späteren Holocaust diente. Gleichwohl zählten die gemordeten Euthanasie-Toten zu Hitlers „vergessenen Opfern“, weil die Nazis durch geschickte Verschleierungstaktiken und unmittelbare Einäscherung der Toten sämtliche Spuren verwischten, so dass selbst den Familien das tatsächliche Schicksal ihrer Angehörigen unbekannt war. So wurde Wilhelmine Hitz vom Schweizerhof in Zarten wegen ihrer diagnostizierten Alkoholsucht aus „planwirtschaftlichen Gründen“ nach Emmendingen eingewiesen, Flora Meder aus Kirchzarten wegen „ungewöhnlicher Frömmigkeit und Essensverweigerung“ und Wilhelm Scherer aus Eschbach wegen „Geistesgestörtheit“, weil er einen Brand gelegt hatte. Für sie und die anderen 12 Opfer war Emmendingen nur Zwischenstation auf ihrem Weg ins Gas.
An diese „vergessenen Opfer“ wollten die Schüler erinnern und die Idee eines bleibenden Denkmals entstand. Sie fand sofort Unterstützung bei Franz Asal vom Förderverein der St. Johannes-Kapelle und beim Zartener Bürgerverein. Bildhauer Daniel Rösch zeigte sich sofort begeistert und half neben der konzeptionellen Arbeit an einem künstlerischen Entwurf kräftig bei der Sponsorensuche mit. Mit Hilfe der Gemeinden des Dreisamtals, der Kirche und vielen Einzelspendern konnte das Vorhaben schließlich umgesetzt werden.

Das Denkmal
Daniel Rösch empfand die zwanghafte Entkleidung der Opfer in Grafeneck als besonders erniedrigend. Diese ihre letzte persönliche Habe mussten die Deportierten damals sofort nach ihrer Einlieferung ablegen. Er stöberte erfolgreich auf Dachböden und Scheunen von Bauernhöfen in der Gegend nach Kleidungsstücken, Schuhen und sonstigen Utensilien aus der Zeit und fertigte daraus einen achtlos zusammengeworfenen Haufen. Dieser diente als Modell und wurde digital dreidimensional vermessen. Die Konturen wurden aus einem passenden Steinblock grob ausgefräst und zusammen mit seinen Mitarbeitern in zusammen 750 Arbeitsstunden manuell feinbearbeitet. Zusätzlich fertigte er eine Stele mit den eingravierten Namen, Lebensdaten und Herkunft der Opfer. Skulptur und Stele bilden nun gemeinsam ein Ensemble, das in seiner bewegenden Eindringlichkeit den willkürlich ermordeten Menschen ein angemessenes Denkmal setzt und ihnen wieder ihre Persönlichkeit zurückgibt. Am 24. Juli 2021 berichteten die Schülerinnen und Schüler der Geschichts-AG und ihr Lehrer Claudius Heitz vor zahlreichen Gästen in einem feierlichen Festakt aller Gemeinden des Dreisamtals unter Teilnahme der Bürgermeister Andreas Hall, Fränzi Kleeb, Klaus Vosberg und Ralf Kaiser ausführlich über ihre Arbeit und ihre Beweggründe. Weihbischof Peter Birkhofer, Daniel Rösch und Kolleg-Schulleiter Bernhard Moser würdigten den Einsatz der Jugendlichen als Beispiel aktiver Erinnerungskultur. Anschließend wurde das Denkmal im Garten der St. Johannes-Kapelle enthüllt.

Bildquellen

  • Dem Vergessen entrissen: Fotos: Erich Krieger
  • Das Denkmal ist enthüllt (v.r.n.l.): Weihbischof Peter Birkhofer, die Schüler der Geschichts-AG Paul Lieb, Jakob Seidel, Sidonie Hahlbrock, Simon Buchgeister, Adelheid Prinz sowie Daniel Rösch und Claudius Heitz: Fotos: Erich Krieger