Kritische Bestandsaufnahme der Genfer Flüchtlingskonvention

Flüchtlinge, Geflüchtete gibt es nicht erst seit 2015, auch wenn manche Medien dies suggerieren möchten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten Geflüchtete, auch innerhalb Europas, vielernorts zum Alltag. In diesem Kontext, am 28. Juli 1951, wurde die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) beschlossen. Die Konvention legt fest, wer Flüchtling ist und welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er von den Unterzeichnerstaaten erhalten soll. Mittlerweile sind es 149 Staaten, die der Konvention beigetreten sind, die 1967 um ein wichtiges Protokoll ergänzt wurde. Bis heute stellt die Genfer Flüchtlingskonvention, die eigentlich „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ heißt, ein zentrales Dokument für die Flüchtlingspolitik vieler Länder dar. Eine Tagung der Katholischen Akademie Freiburg und des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg feiert am 28. Juli, 9.45–19.30 Uhr nun den 70. Geburtstag der Konvention, stellt aber auch kritische Fragen.
Wer nach den Herausforderungen sucht, denen sich der Flüchtlingsschutz heute gegenübersieht, muss nicht lange suchen. „Der internationale Flüchtlingsschutz bricht an vielen Stellen ein. Das wird aktuell besonders durch die gewaltsamen Zurückweisungen, die sogenannten ‚Push-Backs‘, beispielsweise im Mittelmeer sichtbar. Diese verstoßen klar gegen das Non-Refoulement-Prinzip aus der GFK!“ Lucia Braß ist erste Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg und wird die Begrüßungsrede zur Tagung halten. Die aktuelle, international vorherrschende Situation für Geflüchtete illustriert Lucia Braß mit drastischen Beispielen: „Während man auf manche osteuropäischen Staaten mit ihrer andauernden Missachtung des Flüchtlingsschutzes blickt, entzieht Dänemark (ebenfalls Vertragsstaat der GFK) syrischen Geflüchteten – vor allen Dingen Frauen und Kindern – die Aufenthaltserlaubnis, da nach Ansicht dänischer Behörden ‚Teile Syriens‘ trotz Bürgerkrieg als ‚Sicheres Herkunftsland‘ eingestuft werden. Am liebsten möchte Dänemark gar keine Geflüchteten mehr im Land aufnehmen und arbeitet an neuen, verschärften Gesetzen.“ Statt auf dem ursprünglichen Abkommen aufzubauen, schlägt die Europäische Kommission mit dem „New Pact on Migration and Asylum“ eine „Neugestaltung der Asylverfahren“ vor. „Das wirft große Fragen nach Rechtsstaatlichkeit und Fairness auf. Diesem gilt es entschieden entgegenzutreten.“
Deutliche Worte für eine Tagung, die nicht bloß Geburtstagsfeier, sondern kritische Bestandsaufnahme sein will. Mit Vortragenden wie Professor Dr. Walter Kälin, UN Secretary-General’s High-Level Panel on Internal Displacement, Bern, Dr. Constantin Hruschka, Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München oder Professor Björn Bicker, München werden aktuelle Prozesse der Flüchtlingspolitik ebenso kritisch reflektiert wie die Genfer Konvention selbst. „Die Konvention scheint mir eher wie ein altes, vergessenes Schriftstück zu sein, das irgendwo im Kellerregal liegt und verstaubt. Irgendeine Enkelin müsste es mal wieder hervor holen und alle Staaten an einen Tisch bringen und es ihnen mal wieder vorlesen und dann gemeinsam neu formulieren, wie wir mit geflohenen Menschen unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung weltweit umgehen wollen“, merkt Professor Bicker an.
Ein Round-Table bezieht dabei auch die Lage der Geflüchteten während der Pandemie mit ein. Ein vielernorts kritisch gesehenes Instrument Europäischer Flüchtlingspolitik, die Grenzschutzagentur FRONTEX, soll in einer Diskussionsrunde umfassend behandelt werden. Eine künstlerische Initiative zum Ausklang bietet eine Lesung des Buchs „Illegal: Wir sind viele. Wir sind da“ (Björn Bicker) durch das Theater Freiburg und das Theater im Marienbad. Musikalische Begleitung dazu bietet das Heim- und Fluchtorchester Freiburg unter der Leitung Ro Kuijpers.
„Die Genfer Flüchtlingskovention gilt als unverzichtbare Grundlage des internationalen Flüchtlingsschutzes. Der Aktionstag soll einen Überblick über die GFK verschaffen und diese wieder in den Blick nehmen. Auf welchen Flüchtlingsschutz hat man sich mit einer breiten Zustimmung in der Vergangenheit verbindlich festgelegt und wo hält man diesen Flüchtlingsschutz überhaupt noch ein?“ Professor Björn Bicker ergänzt den Blick noch um einen wesentlichen Aspekt: „Letztlich geht es um die Aktualisierung von Menschenrechten. Und um unser Menschenbild. Wollen wir die Menschen denn überhaupt unterteilen in Geflohene und Nicht-Geflohene? Sind wir nicht eigentlich alle gleich und haben die gleichen Rechte und Pflichten und sind wir nicht durch ein enges Netz an Verantwortung, Politik und Historie miteinander verbunden? Was würde das bedeuten, wenn wir das ernst nähmen? Wie sähe dann Begegnung aus? Gäbe es dann FRONTEX? Gäbe es dann Abschiebungen? Die Erinnerung an die Taufe der Genfer Flüchtlingskovention könnte ein Impuls zur kritischen Selbstbefragung sein.“

Weitere Infos und Anmeldung: www.katholische-akademie-freiburg.de

Bildquellen

  • Ein alltäglich gewordenes Bild des Leidens. Geflüchtete bei Athen: Foto: Peter Kellfur / Pexels