Koalitionsverhandlungen: Erinnerungen für die Zukunft

Vor genau vier Jahren begannen in Deutschland die längsten Koalitionsverhandlungen seit Menschengedenken. Alarmstimmung bei der Kohlelobby: “Mögliche Jamaika-Koalition lässt RWE-Aktie abstürzen“, so schlug sich am Montag nach der Wahl 2017 die Angst vor Klimaschutz in den Schlagzeilen nieder. Die Angst vor einem Regierungsprogramm, das den – schon damals paralysierenden – GroKo-Stillstand ablösen sollte.
Die Forderung der Grünen, 8-10 Gigawatt (GW) Kohlekraftwerks-Kapazität (von 45 GW) vom Netz zu nehmen, machte die Kohlekonzerne und ihre Alliierten in Politik und Gewerkschaften sichtlich nervös. Nach wochenlangem Ringen sickerte dann auch ein gemeinsames Papier von Bundesnetzagentur und Wirtschaftsministerium durch, nach deren Berechnungen die Stilllegung von 7 GW Kohlekraftwerken nicht nur „mit der Versorgungssicherheit vereinbar“ sei, sondern dass diese sogar noch verbessert würde, da „ein Großteil der Kohlekraftwerke eine belastende Wirkung auf das Netz“ habe. Die Kohle-freundliche Gewerkschaft IGBCE schickte umgehend einen Hilferuf an Armin Laschet und Christian Lindner, der sich wie eine Handlungsaufforderung an Erfüllungsgehilfen liest: “Hoppla, wer glaubt denn sowas? Merkel verschickt 7 GW Kohlekraft nach Jamaika? Mitten in den Verhandlungen die energiepolitische Vernunft aufkündigen. Da passt nichts mehr zusammen.“

„Du akzeptierst das?“

Noch nicht einmal 1 GW Kohlkraftwerksleistung wurde seit der letzten Bundestagswahl stillgelegt. Die Stilllegung von 7 GW wären sofort (2017) realisierbar gewesen, sogar als Netzentlastungs-Maßnahmen. 8-10 GW standen als grüne Forderung auf dem Verhandlungstisch.

Armin soll seinem Duz-Freund Christian dann eine SMS geschrieben haben, dass er Minus 7 GW Kohle akzeptiere: “Zahl im Text reicht, Weg müssen wir nicht vorschreiben.“ Drei Tage später ließ die FDP die Jamaika-Koalition platzen. Legendär der nächtliche Auftritt Lindners mit Zettel vor der Presse. Legendär sein Satz: „Lieber nicht regieren als falsch“. Legendär die dazugehörige, drei Tage vorher erstellte Social-Media-Kachel.
Ein Glücksfall für Armin Laschet. Ohne sein Zutun verschwanden die 7 GW Kohle-Stilllegung aus den Verhandlungen. Der Kurs seiner RWE-Freunde schoss mit dem Jamaika-Aus in die Höhe. Statt der Stilllegung von „7 GW sofort“ wurde die Leistung in 4 Jahren um nicht mal 1 GW reduziert. Inzwischen ist extrem viel Wasser die Erft heruntergeflossen, hat Braunkohlegruben geflutet und Häuser weggerissen. Armin Laschet bläht sich inzwischen zum einzig wahren Kohleaussteiger auf, lügt skrupellos und nach Belieben, etwa dass seine Regierung den Hambacher Forst gerettet habe, oder dass in NRW seit Regierungsübernahme von CDU und FDP der Zubau an Windanlagen steige, obwohl das glatte Gegenteil nachweislich stimmt.
Mit dem teuersten Polizeieinsatz der Geschichte von NRW hat die schwarzgelbe Landesregierung im Hambacher Wald die Grenzen der Legalität überschritten. Menschen wurden verprügelt, verletzt. Ein junger Mann starb, als die NRW-Regierung die Situation eskalieren ließ. Als Erfüllungsgehilfe von RWE suchte und fand Armin Laschet einen Vorwand, wie er selbst zugab: „Ich wollte den Wald räumen, ich wollte den Wald räumen.“ Die Liste der Lügen, Machenschaften, Verfehlungen und Unzulänglichkeiten des Noch-NRW-Ministerpräsidenten ist schier endlos. Doch noch während diese Zeilen getippt werden klammert sich Laschet an das, was er – trotz historischer Verluste seiner Partei und katastrophaler persönlicher Umfragewerte als „Regierungsauftrag“ interpretierte.
Dabei ist er längst angezählt. Auch wenn er versucht hat, noch in der Wahlnacht seinen Freund Christian dazu zu bewegen, die Grünen auf die Jamaika-Seite zu ziehen – um den längst verlorenen eigenen Hintern zu retten, es wird ihm nichts nützen.
Und was wird mit einem Olaf Scholz an der Spitze fürs Klima zu holen sein? Was mit grüner und gelber Regierungsbeteiligung, wenn es dazu kommt? Wird im nächsten Sommer wieder alles wie früher? Keine Dürren mehr? Keine Staatshilfen für Ernteausfälle? Endlich wieder ans Mittelmeer fliegen ohne vor Feuersbrunsten zu fliehen? Nie wieder Starkregen, der den netten Bach nebenan zum reißenden Fluss anschwellen lässt? Klopft nie mehr ein rutschender Hang an unsere Fenster? Wohl kaum. Die Klimakrise geht nicht weg, bloß, weil man nicht mehr hinschauen will.
Die kommende Regierung wird für die Klimaschutzbewegung keine Signalwirkung senden, dass man sich jetzt zurücklehnen kann, weil nun alles auf dem richtigen Weg ist. Und das ist gut so. Natürlich wird die Zivilgesellschaft die Regierungen vor sich hertreiben müssen. Sie wird hellwach und kreativ den Klimaschutz-Lobbyisten das Handwerk legen müssen – denn die werden sich auch nicht zurücklehnen. Zum Glück ist Engagement nicht irgendeine lästige Pflicht. Auf den großen Klimastreiks erleben immer neue Menschen zum ersten Mal, welchen Kick so ein Erlebnis geben kann, welche unfassbar starken Biographien aus diesen Geschichten erwachsen, die mit Sätzen anfangen, wie: „eine Freundin hat mich zu meiner ersten Demo mitgenommen“.

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  • Noch nicht einmal 1 GW Kohlkraftwerksleistung wurde seit der letzten Bundestagswahl stillgelegt. Die Stilllegung von 7 GW wären sofort (2017) realisierbar gewesen, sogar als Netzentlastungs-Maßnahmen. 8-10 GW standen als grüne Forderung auf dem Verhandlungstisch.: Foto: promo
  • Jamaika? Neinmaika. Der Exit-Slogan der FDP mit Datei-Datum vom Donnerstag, 17.11.2017 – drei Tage bevor Christian Lindner der Hauptstadt-Presse seinen vorbereiteten Ext-Zettel vorlas.: Foto: promo