Im Gespräch: Yasmin Ulrich und Jérémy Goltzéné, Art‘Rhena

Ein dynamisches Kulturprojekt auf der deutsch-französischen Grenze soll es werden: Art‘Rhena, die Kulturinsel. Auf der Rheininsel bei Breisach entsteht ein Kunst- und Kulturzentrum, das nicht nur ein internationales Programm, sondern über Workshops, Konferenzen und Seminare diverse Austauschplattformen bieten soll. Ende Oktober beginnt die erste Saison des Großprojekts. Im Vorfeld hat Fabian Lutz mit Yasmin Ulrich (Öffentlichkeitsarbeit) und Jérémy Goltzéné (Programmplanung) über die binationale Ausrichtung des Projekts, Kulturarchitekturen und einen vielversprechenden Masterplan für die Rheininsel gesprochen.

Eröffnen Ende Oktober die Saison: Die Kompanie Rois Vagabonds: „Concerto pour deux clowns“

Kultur Joker: Auf einer Rheininsel zwischen Deutschland und Frankreich gelegen hat Art‘Rhena einen ganz besonderen Ort. Ein Ort, der mehr ist als eine Durchgangsstation?

Yasmin Ulrich: Noch wird die Rheininsel vor allem als Durchgangsstation genutzt. Wir wollen das überschreiben. Die Insel soll zum Treffpunkt werden. Ein Treffpunkt zwischen Deutschland und Frankreich, für die Bewohner*innen der deutschen und der französischen Rheinuferseite und für Gäste aus aller Welt. Auch soll es ein Treffpunkt werden zwischen Publikum und den Künstler*innen, zwischen verschiedenen Disziplinen der Kunst und auch den Unternehmen in der Region. Unsere Kulturinsel soll eine Anlaufstelle für alle sein, die gemeinsam mit anderen Menschen Kunst und Kultur erleben und genießen wollen.

Kultur Joker: Ein Grenzort lässt aber auch Unterschiede aufeinandertreffen.

Yasmin Ulrich: Gerade sprachliche Unterschiede können wir nicht übergehen. Deshalb bieten wir in unserem Saisonprogramm von Art’Rhena Veranstaltungen an, die keine bestimmten Sprachkenntnisse benötigen, etwa Zirkus, Theater oder Musik. Über Mimik, Gestik oder Klang versteht man auch ohne Worte. Wir können Momente schaffen, in denen unterschiedliche Menschen, Sprachen und Kulturen zusammenkommen und etwas Neues, eine Verbindung, vielleicht sogar eine Freundschaft entsteht.

Jérémy Goltzéné: Unser Traum ist, dass sich die Leute bei uns treffen, gemeinsam etwas erleben und danach darüber sprechen, ob auf Französisch, Deutsch, Elsässisch oder Englisch.

Kultur Joker: Gibt es, gerade in der Region vergleichbare Konzepte, an denen Sie sich orientieren? Oder bleibt Ihr Konzept einzigartig?

Jérémy Goltzéné: Eine vergleichbare Institution ist vielleicht der Le Carreau, scène nationale in Forbach im Département Moselle bei Saarbrücken mit einem ähnlich grenzüberschreitenden Programm für verschiedene Altersgruppen. Inmitten des Städtedreiecks Freiburg, Colmar und Mulhouse sind wir aber die einzigen, die ein so umfassendes Kulturprogramm anbieten.

Yasmin Ulrich: Ein Vorbild gibt es nicht, da wir in dem, was wir tun, schon einzigartig sind. Wir haben nicht nur Veranstaltungen in verschiedenen Sprachen, sondern auch ein multidisziplinäres Programm. Wir wollen mit unserem Programm alle darstellenden Künste umfassen.

Kultur Joker: Ihr sprachenübergreifendes Konzept führt sicher zu Herausforderungen. Gerade, wenn es unmittelbare Begegnungen zwischen dem Publikum und den Künstler*innen gibt. Wie gelingt zum Beispiel die Verständigung innerhalb der Workshops, die Sie regelmäßig anbieten wollen?

Yasmin Ulrich: Die Workshops versuchen wir für alle offen zu halten. Meist bin ich als Übersetzerin mit dabei. Manchmal beherrschen die Künstler*innen auch beide Sprachen.

Jérémy Goltzéné: Wir bedienen fünf verschiedene Kunstsparten: Tanz, Musik, Theater, Zirkus und Marionettentheater. Musik, Zirkus und Tanz funktionieren auch ohne bestimmte Sprachkenntnisse, womit 3/5 unseres Programms sprachenübergreifend sind. Beim Rest des Programms arbeiten wir mit Unter- und Übertiteln.

Kultur Joker: Welche Begegnungen neben den Workshops sind zwischen Publikum und den Künstler*innen gegeben?

Yasmin Ulrich: Wir wollen immer die Möglichkeit geben, dass sich das Publikum nach der Veranstaltung mit den Künstler*innen austauschen kann.

Jérémy Goltzéné: Wir bieten für Künstler*innen auch Residenzen an, also die Möglichkeit, vor Ort an einer Vorführung zu arbeiten. Manche Proben können als öffentliche Proben vom Publikum auch besucht werden. Der Choreograf Daniel Rakovsky zum Beispiel kommt im Dezember zu uns und entwickelt mit Claire Pastier sein neues Projekt „Pas de deux“, das am 18. Februar zu sehen sein wird. Das Publikum kann bei der Entstehung des Projekts dabei sein. Eines unserer größeren Projekte heißt „Kultur und Solidarität“. Über dieses Projekt veranstalten Künstler*innen in französischen Altersheimen Konzerte und zeichnen im Anschluss die Reaktionen des Publikums auf. Das Elektro-Duo French fuse wird diese Aufnahmen beim letzten Konzert unserer Saison verwenden und daraus ein Musikset entwickeln.

Yasmin Ulrich: Das wird ein Mash-up aus älteren bekannten Songs, den Aufnahmen und Eigenkompositionen. Benjamin und Jerry sind echte Profis, was das Mixen angeht.

Kultur Joker: Einen Schwerpunkt bildet Ihr Programm zur kulturellen Bildung. Wie ist das aufgebaut?

Jérémy Goltzéné: Unser Programm „Künstlerische und kulturelle Bildung“ fußt auf drei Säulen: Die Begegnung zwischen Künstler*in, Stück und Publikum, die praktische Umsetzung durch das Publikum und das Entwickeln von Fähigkeiten währenddessen. Das Programm entwickeln wir für Kinder an Schulen, aber auch innerhalb unserer Workshops. Die Kompanie Kiaï, die im April bei uns ihre Zirkusshow „Ring“ veranstaltet, bietet zum Beispiel Workshops an, bei denen man lernen kann, wie man akrobatisch auf dem Trampolin springt.

Kultur Joker: Spiegelt sich die Publikumsnähe von Art’Rhena auch in der Architektur des Gebäudes wider?

Yasmin Ulrich: Die Bühne unseres Veranstaltungssaals schließt ebenerdig zum Publikumsraum. Es wird kein Unterschied zwischen den Künstler*innen und dem Publikum gemacht. Je nach Typ der Aufführung kann das Publikum einen Kreis um die Künstler*innen bilden, aber auch auf hinzugefügten Rängen vor der Bühne sitzen. In jedem Stockwerk befinden sich darüber hinaus Vorräume. Vor jedem Stück können Vorfreude oder Aufregung gemeinsam geteilt werden. Nach dem Stück kann man dort über die Aufführung sprechen oder mit den Künstler*innen ins Gespräch kommen. Auch wir vom Team wollen dort präsent sein und den Austausch mitgestalten. Für Reflexionen, auch kritische, haben wir ein offenes Ohr.

Kultur Joker: Kann sich das breite Publikum die Kulturinsel auch leisten? Wie sieht Ihre Preispolitik aus?

Jérémy Goltzéné: Wir möchten unsere Vorführungen auch vom Preis her zugänglich gestalten. Die Spanne bewegt sich zwischen 4-15€ pro Person, je nach Länge des Stücks, Alter und Ermäßigung. Ein Besuch der Kulturinsel soll nicht teurer als der Besuch eines französischen Kinos sein.

Kultur Joker: Wie weit sind die Künstler*innen, wie weit die Kulturinsel bei der kreativen Ideenfindung für das Programm beteiligt?

Yasmin Ulrich: Jérémy Goltzéné ist Anfang des Jahres immer unterwegs und sieht sich verschiedene Künstler*innen und Veranstaltungen an, setzt sich mit ihnen in Kontakt und entwickelt aus diesem Kontakt das Programm. Meine Kollegin Mathilde Feutry ist für die Zusammenarbeit der Künstler*innen mit dem Publikum zuständig. Im Französischen nennt man das „Médiation“. Aus dieser Verbindung hat meine Kollegin auch einen Kinoklub entwickelt, aber auch das Projekt „Kultur und Solidarität“. Die Ideen gehen im Grunde von uns aus, für die weitere Arbeit daran suchen wir uns künstlerische Partner*innen.

Kultur Joker: Gibt es Initiativen oder Formate, die saisonübergreifend in eurem Programm Platz finden?

Yasmin Ulrich: Wir stehen gerade noch am Anfang unseres Programms, deshalb müssen wir zunächst sehen, wie das Publikum auf die verschiedenen Formate reagiert. Grundsätzlich freuen wir uns natürlich über Veranstaltungen, die wir auch saisonübergreifend anbieten können. Die Veranstaltungen dieses Jahr sind aber erst einmal einmalig.

Kultur Joker: Dieses Jahr hattet ihr bereits einen Probelauf mit einem Programm, das außer Haus stattfand. Wie waren die Reaktionen darauf?

Yasmin Ulrich: Zur Coronazeit war es natürlich schwierig, das Programm so umzusetzen, wie wir es gerne gemacht hätten. Wir mussten leider viele Veranstaltungen absagen, was uns im Herzen weh getan hat. Deshalb war es umso schöner, wenn wir einmal etwas realisieren konnten. Als wir dann auch ein positives Feedback bekamen, war das nach dieser Durststrecke umso nahrhafter. Gerade bei den Kooperationen mit Schulen gab es viele Komplimente von Schüler*innen und Lehrer*innen. Das war schön.

Jérémy Goltzéné: Mit der Pandemie wurden die Grenzen und Säle geschlossen. Jetzt öffnen die Säle und man spürt, dass es wieder losgehen muss.

Kultur Joker: Eine gewisse Vorfreude konnten Sie sicher schüren.

Yasmin Ulrich: Auf Facebook haben wir tatsächlich schon Anfragen bekommen: Wann ist denn endlich die Eröffnung? Wann geht’s los? Die Menschen sind sehr neugierig.

Jérémy Goltzéné: Unsere Vorstellungen an Schulen sind von deutscher wie französischer Seite bereits komplett ausgebucht. Am 5. September waren wir auch in Freiburg. Mit dem Centre Culturel Français veranstalteten wir die „Fête de la musique“. Viele Leute dort waren sehr an Art’Rhena interessiert.

Kultur Joker: Soll die Rheininsel auch über Art’Rhena hinaus zur Kulturinsel werden?

Jérémy Goltzéné: Es gibt da tatsächlich etwas, das man im Französischen „Masterplan“ nennen würde. Die Insel soll ein Ausflugsziel für die Bewohner*innen der französischen und deutschen Seite werden. Dafür soll auf der Insel ein Park entstehen, den man wie die ganze Insel mit einem Leihfahrrad erkunden kann. Jetski soll man auch fahren können. Eine Fußgängerbrücke wird Breisach direkt mit der Rheininsel verbinden. Auf französischer Seite sollen Kreuzfahrtschiffe anlegen können. Menschen, die den Rhein herunterfahren, um Städte wie Colmar, Mulhouse oder Freiburg zu besichtigen, sollen auch bei uns anlegen können. Art’Rhena wird der Beginn einer Renaissance der Rheininsel sein.

Kultur Joker: Das klingt vielversprechend. Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Infos: www.artrhena.eu/artrhena-kulturinsel

Bildquellen

  • Eröffnen Ende Oktober die Saison: Die Kompanie Rois Vagabonds: „Concerto pour deux clowns“: Foto: VVanhecke
  • Jérémy Goltzéné und Yasmin Ulrich: Foto: Art'Rhena