Jules Massenets Oper „Manon“ am Freiburger Theater als Hommage an den Film Noir

Es regnet. Das alte Paris wird in Schwarz-Weiß-Fotos auf den Gazevorhang projiziert. Dahinter hat Kaspar Zwimpfer einen kühlen Raum mit schräger Decke gebaut, die das Geschehen von Beginn an unter Spannung setzt. Jules Massenets fünfaktige Oper „Manon“ beginnt am Theater Freiburg in einem wenig behaglichen Wartesaal in den späten 1950er-Jahren. Männer in Hüten und Trenchcoates laufen herum, wie gerade aus einem Film Noir entsprungen (Kostüme: Gabriele Rupprecht). Dieses Genre hat Regisseur Peter Carp gewählt, um der verführerischen, nicht ganz durchschaubaren Protagonistin Raum zu geben.
Eigentlich sollte Fabrice Bollon in seiner letzten Spielzeit als Generalmusikdirektor die Premiere dirigieren, konnte aber aus terminlichen Gründen die Produktion nicht übernehmen. So führt der 1. Kapellmeister Ektoras Tartanis das Philharmonische Orchester Freiburg sicher und sensibel durch den dreistündigen Abend. Die Streicher entfalten einen seidenen Glanz, die Massenszenen mit dem wendigen Chor (Einstudierung: Norbert Kleinschmidt) im 3. und 4. Akt bleiben transparent. Nur die Raffinesse fehlt manches Mal dem farbigen, im Dramatischen durchaus zupackenden Orchesterklang. Manon steht ganz im Mittelpunkt – und ihre Emanzipation vom braven Mädchen, das von ihrer Familie ins Kloster geschickt wird, zur selbstbewussten Männerverführerin. Bei ihrem ersten Auftritt trägt Solen Mainguené noch Kopftuch, aber schon nach den ihren ersten Tönen ist schon klar, dass diese Manon kein Heimchen am Herd ist. Die Begegnung mit Des Grieux (Joshua Kohl) wird zum Erweckungserlebnis, die schnelle Entscheidung für ihn zum emotionalen Brandbeschleuniger. Der zweite Akt zeigt Manon in Dessous, wie sie ihr Luxusleben genießt und am Ende ihren Liebhaber doch verrät. Im dritten glänzt sie in der Gesellschaft an der Seite ihres zurückhaltenden neuen Lovers (distinguiert: John Carpenter). Solen Mainguené zeigt mit ihrem farbenreichen, in der Tiefe dunkel timbrierten Sopran die große emotionale Bandbreite dieser Manon. Die Begegnung im Kloster, wenn sie den dort predigenden Exlover Des Grieux zurückgewinnt, hat existentielle Wucht. Und auch das Ende dieser starken Frau, als sie von allen verlassen ist und mit einer Pistole in der Hand die Szene verlässt, gelingt eindrücklich.
Josuha Kohl anfangs noch etwas enger Tenor wird im Laufe des Abends immer freier. Auch Des Grieux erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt, die von Kohl in hellen, warmen Farben gestaltet wird. Manons Cousin und Familienaufpasser Lescaut ist bei Juan Oroczo gänzlich charmebefreit. Oroczos wuchtiger, nicht immer zur Gesamtbalance passender Bariton zeichnet dabei einen grobschlächtigen Typen in Lederjacke mit cholerischen, intonatorisch wackligen Wutanfällen. Yunus Schahinger ist da als Graf Des Grieux viel eleganter in Kleidung und Stimmführung. Mit Samantha Gaul, Katharina Ruckgaber und Inga Schäfer bietet die Freiburger Produktion eine echte Luxusbesetzung für die Glamourgirls Pousette, Javotte und Rosette. Roberto Gionfriddo ist ein schön schmieriger Guillot de Morfontaine.
Regisseur Peter Carp setzt die Geschichte im variierten Einheitsraum mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten (Licht: Diego Leetz) in Szene und entwickelt einen suggestiven Erzählfluss, der sich auch in der musikalischen Interpretation von Ektoras Tartanis spiegelt.Die erste große Produktion am Freiburger Theater seit Ausbruch der Pandemie kann sich hören und sehen lassen.

Weitere Vorstellungen: 18./20./27. Febr., 5. März 2022. Tickets unter www.theater.freiburg.de und tel. unter 0761-2012853

Bildquellen

  • Solen Mainguené in „Manon“ am Theater Freiburg: Foto: Paul Leclaire