Jesuanischer Frontalangriff: Zum Buch von Franz Alt: „Ich habe einen Traum! Die Zukunft der Kirche ist weiblich“

Franz Alt (*1938), studiert im Fächerkanon Politik, Geschichte, Philosophie und Theologie, hat sich stets unerschrocken als streitbarer politischer Journalist, Fernsehmoderator, Buchautor mult., Umwelt- und Friedensaktivist und Diskutant in zahllosen Gesprächsrunden und Reden in der Öffentlichkeit betätigt. Sein spirituell-ethisches Fundament findet er dabei im christlichen Glauben, genauer in seinem emanzipatorischen Verständnis der Frohbotschaft Jesu, das ihn wiederholt in theologischen Widerspruch und damit Konfrontation mit dem hierarchischen System und der Dogmatik der Amtskirche brachte. Er selbst nennt sich deshalb statt Christ lieber Jesuaner.
Im April dieses Jahres wurde sein Buch „Die außergewöhnlichste Liebe aller Zeiten“ über die tatsächliche Art der Beziehung von Jesus zu Maria Magdalena sowie zu seinem Lieblingsjünger Judas vorgestellt. Alt zeigt dort in einer mehr als plausiblen Argumentationskette, dass Maria aus Magdala nicht die sündhafte Prostituierte war, als die sie bis heute immer noch im offiziellen Glaubenskanon herumspukt, sondern seine engste Vertraute, Geliebte und Verkünderin der jesuanischen Lehre der allseitigen Liebe, Fürsorge und des Friedens im Sinne der Bergpredigt. Judas war nicht der feige geldgierige Verräter, sondern er erfüllte unter großer Seelenpein den ihm von Jesus erteilten Auftrag, ihn der römischen Obrigkeit zu übergeben. Diese und andere Fehlinterpretationen und ihre bis heute dominante Wirkmächtigkeit waren nur möglich, weil die beim Konzil von Nicäa im Jahre 325 unter Kaiser Konstantin als verbindliche Glaubenslehre festgelegten vier Evangelien in der Bibel nur in der damaligen griechischen Amtssprache überliefert und deren aramäische Urschriften nicht erhalten sind. Rückübersetzungen der in Nicäa kanonisierten Evangelien ins Aramäische etwa durch den evangelischen Theologen und Altphilologen Günther Schwarz förderten diese und andere Fehlinterpretationen zutage. Beispiel Judas: Das Aramäische verfügt über keinen großen Wortschatz und somit hat jedes Wort in der Regel mehrere oft ganz unterschiedliche Bedeutungen. So gibt es nur ein Wort für verraten und übergeben. Gleichwohl existiert noch eine stattliche Zahl weiterer Evangelien aus der Zeit des Urchristentums in aramäischer Originalsprache, die in Nicäa und bis zum heutigen Tag von der Kirche unberücksichtigt blieben, mit teilweise ganz anderen Darstellungen des Wirkens Jesu, darunter das Fragment des Evangeliums von Maria Magdalena.

Für eine umfassende Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern
In seinem neuen Buch stellt Franz Alt den Geist des Maria-Magdalena-Evangeliums in den Mittelpunkt seiner radikalen Kritik an der 2000-jährigen Amtskirche. Auf vielen Seiten beschreibt er die Stationen und Erscheinungsformen der Frauenfeindlichkeit und die durch und durch patriarchalen Strukturen der Männerkirche bis heute. Sein Fazit: Eine Kirche kann nur so frei sein, wie auch die Frauen in ihr frei sind. Das Alte Testament mit seinem durch und durch männlich definierten Bild eines gebietenden und strafenden Vater-Gottes scheide für ChristInnen als Glaubensgrundlage somit aus. Allerdings sei es vor allem Sache der Juden, ihr Altes Testament weiter zu entwickeln, aber die der christlichen Kirche, das Neue Testament endlich jesuanisch zu verstehen. Für Jesus, der sich selbst nie als göttlich sondern als Menschensohn und guter Hirte bezeichnet hat, ist Gott als sein Abba der Inbegriff von Liebe und Güte, in dessen zu bauendem Reich das Weibliche und Männliche eine Symbiose der Harmonie bilden sollen. Für Alt hat das Paar Jesus und Maria Magdalena diese Symbiose im Zeichen der Liebe gelebt.
Im Evangelium der Maria Magdalena verabschiedet sich Jesus von seinen Jüngern und von Maria mit den Worten: „Seid in Harmonie! Wenn ihr verwirrt seid, lasst euch von den Bildern eurer wahren Natur leiten.“ Und: „Erhebt euch! Verkündet das Evangelium vom Reich Gottes!“ Die Jünger zeigen aber Furcht vor der Gefahr, das gleiche Schicksal wie Jesus zu erleiden. Sie werden von Maria wieder aufgerichtet. Dann sagt Petrus: „Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich geliebt hat, anders als die übrigen Frauen. Sag uns die Worte, die er dir anvertraut hat.“ Das tut Maria, aber Andreas und Petrus zweifeln, weil viele Gedanken für sie neu sind und sie nicht akzeptieren wollen, dass Jesus sie als Frau ihnen vorgezogen hat. Als Maria daraufhin zu weinen beginnt, verteidigt sie Levi und richtet an Petrus die Worte: „Wenn der Erlöser sie aber würdig gemacht hat, wer bist dann du, sie zurückzuweisen? Gewiss kennt der Erlöser sie ganz genau. Deshalb hat er sie mehr geliebt als uns. Vielmehr sollten wir Reue zeigen und das menschliche Wesen in seiner Vollkommenheit verwirklichen.“
„Als Levi diese Worte gesprochen hatte, machten sie sich auf den Weg, das Evangelium zu verkünden.“
Dieser Verlauf zeigt klar, dass Jesus Maria Magdalena eine Sonderstellung unter den Jüngern verliehen hat und ihr am nächsten von allen stand. Von ihr ging der entscheidende Impuls zur Verbreitung der christlichen Heilslehre aus. Es hat bis zum 3. Juni 2016 gedauert, dass Papst Franziskus Maria Magdalena als „Apostolorum Apostola“, also Apostelin der Apostel nannte. Franz Alt interpretiert dies so: „Somit stellt der Papst klar, dass eine Frau de facto die erste Päpstin war, eine Frau die wahre Kirchengründerin.“ Es gibt zu den Äußerungen des Papstes sogar eine offizielle Stellungnahme des Vatikans, in der es heißt: „Maria Magdalena ist Beispiel und Modell für jede Frau in der Kirche.“ Für Alt sind dies allerdings nur schöne aber konsequenzlose Worte. Denn derselbe Vatikan verbot 2022 in einer Erklärung der katholischen Kirche Deutschlands, über die Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern oder überhaupt über kirchliche Reformen auch nur zu diskutieren. Ihm geht es aber genau um solche und andere Konsequenzen. Angesichts der fortschreitenden Klimakrise aufgrund der zügellosen, nur am Maximalprofit orientierten Ausbeutung und Zerstörung der Natur, der weltweit unaufhörlich wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, der sich stetig weiter ausbreitenden Kriege, der nach wie vor bestehenden patriarchalischen Vorherrschaft und ethnischer Diskriminierung entwickelt er ausführlich ein konkretes Bild von der Nachfolge Jesu. „Das Reich Gottes ereignet sich nicht da, wo starke Männer das Schwache und die Schwachen besiegen, auch nicht da, wo männliches Ego zur Schau gestellt wird und wo große Reden geschwungen werden, ohne dass ihnen Taten folgen, sondern dort, wo Frieden gestiftet, geliebt, geheilt und getröstet und seelisches menschliches Wachstum ermöglicht wird. Das Evangelium der Maria Magdalena erinnert uns daran, dass Gott die Liebe ist und diese Liebe das große Angebot und Jesus der Zeuge dieses Angebots.“
Die gnadenlose Analyse des Versagens der Kirche bei all diesen Fragen ergibt für Franz Alt nur die Alternative: Entweder begibt sich die Kirche auf einen streitbaren Kurs zur Bewahrung der Schöpfung und erneuert sich nach innen und außen oder sie wird noch schneller als gegenwärtig in Bedeutungslosigkeit versinken. Ein entscheidender Gradmesser für die Entschlossenheit eines solchen Kurswechsels ist die unmittelbare Herstellung einer vollständigen Gleichberechtigung der Frauen auf allen Ebenen. Dann realisiert sich die Prognose des Untertitels.

Das Buch ist im Herder Verlag erschienen. ISBN-Nummer 978-3-451-39542-0. www.herder.de/-ich-habe-einen-traum

Bildquellen

  • „Ich habe einen Traum! Die Zukunft der Kirche ist weiblich“: Cover: Herder Verlag
  • Heilige Maria Magdalena, um 1524 von Bernardino Luini.: Copyright: Walters Art Museum, Baltimore, USA