In Ester Fleckners Ausstellung „Slow Tools“ im Kunstverein Freiburg ist die Form der Inhalt

Wenn man sich in Ester Fleckners Ausstellung „Slow Tools“ ein bisschen wie in einer dreidimensionalen Rätsel­ecke fühlt, liegt dies wohl einfach an der Vielzahl von Informationen. Denn die will verarbeitet und sortiert werden. So sucht man unweigerlich in den sieben großformatigen Holzschnitten „Woodbeds, brimming“ zusammengehörige Zeichen und auf der gegenüberliegenden Seite versucht man im Kunstverein Freiburg die Polyederkörper aus Beton mit den Zeichnungen an der Wand in Einklang zu bringen. Kann es sein, dass es papierne Abwicklungen der komplexen dreidimensionalen Objekte sind?
So wie wir nicht nicht kommunizieren können, fällt es uns schwer, Dinge nicht miteinander in Verbindungen zu bringen. Doch hier sollte man doch einen Schritt zurücktreten, denn bei Ester Fleckner, 1983 in Dänemark geboren, Studium in Kopenhagen und London, ist die Form die Botschaft. Die kleinen geometrischen Formen auf denen die Holzschnitte beruhen, sind nicht miteinander identisch. Mehr noch, wenn Fleckner den Druckstock weiter nutzt, entstehen über der Aneinanderreihung der Zeichen weitere Kolonnen und wenn am Ende der Druckprozess abgeschlossen ist, werden von Hand weitere Zeichen zugefügt. Jedes Blatt unterläuft so die charakteristische Eigenschaft einer Druckgrafik, Reproduktion zu sein. Fleckner, die sich selbst als nicht-binär versteht, geht es um die Vielzahl an Formen und nicht um ihre Kategorisierungen. Nichtsdestotrotz erinnern diese zeichenhaften Umrisse von Polyedern auf tiefblauem Grund an Schriftsätze, an Kolumnen mittelalterlicher Manuskripte, an Codes, denen wir gerne den Sinn entreißen würden. Das hat viel mit dem Medium zu tun. Der Holzschnitt verlangt ein langsames, sehr handwerkliches Arbeiten. Es könne bis zu 13 Stunden dauern bis so ein Blatt gedruckt sei, erzählt Ester Fleckner im Kunstverein Freiburg. Das bringt auch das Arbeiten mit einem derartigen Großformat mit sich. Der Holzschnitt ist durch die Geschichte des Mediums eng mit der Schrift und mit der Verbreitung von Texten verbunden. Wenn Ester Fleckner die Reihen überschreibt oder ihnen Zeichnungen anfügt, wirkt dies als widmete sie sich einem Text, der niemals zu seinem Ende kommt.
In ihrer Arbeit mit dem programmatischen Titel „All models are wrong, some are useful“, die Holzschnitt-Unikate mit geometrischen Betonskulpturen vereint, ist der Bezug zur Sprache noch deutlicher. Neben den freihändig geschnittenen Polyederformen hat Fleckner Sätze geschrieben, die oft zueinander im Widerspruch stehen. Es scheint als ob sich Fleckner Regeln setzt, um diese auszutesten und sich innerhalb dieser frei zu bewegen. Der Minimalismus, der ihre Arbeiten prägt und der zugleich für queere Lebensformen eintritt, spiegelt dies wider. Auf der Empore, wo Fleckner Arbeiten aus der 2015 entstandenen Serie „Wooden Scripts (How I love your obscure)“ zeigt, wird dies noch deutlicher. Die Sternchen, die mal frei, mal eingekringelt sind, und in einem Raster stehen, könnten ein Stern, aber auch ein Gendersternchen sein, für Ester Fleckner sind sie vor allem der Anus. Eine kleine Figur, die etwas poetisch macht, eine Verdichtung verschiedener Bedeutungen, so Fleckner. Man kann darin aber auch einen individuell geprägten Minimalismus sehen.

Ester Fleckner, Slow Tools. Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21. Mi-Fr 15-19 Uhr, Sa-So 12-18 Uhr. Bis 29. Oktober 2023.

Bildquellen

  • Ester Fleckner: Werkserie „Woodbeds, brimming“, 2023: © Marc Doradzillo