In der Fondation Beyeler ist eine spektakuläre Georgia O’Keeffe-Ausstellung zu sehen

Georgia O’Keeffe: „Series I, No. 8“, 1919, Öl auf Leinwand, 51 x 41 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Schenkung der Georgia O‘Keeffe Foundation
© Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

Vielleicht ist das mit den Blumen einfach ein Missverständnis. Selbst wenn die Fondation Beyeler ihre große monografische Ausstellung zum Werk von Georgia O’Keeffe (1887-1986) jetzt auch mit ihnen bewirbt. Man kann sich zwischen Stempel und Staubblätter ja durchaus verlieren und natürlich gibt es sexuelle Analogien bei all den Feuerkolben, Cannas und Callas, schließlich sind das eine wie das andere Geschlechtsorgane. Dazu passte, dass Alfred Stieglitz, Georgia O’Keeffes Galerist und späterer Ehemann, Aktaufnahmen von seiner Geliebten machte und diese 1921 in den Anderson Galleries ausstellte. 300 Fotografien sollte der mehr als zwanzig Jahre ältere Stieglitz von ihr machen. Amerika hatte es besser als das weniger freizügige Europa. Es fiel also leicht, O’Keeffe als eine Malerin der Anspielung zu rezipieren. Für Georgia O’Keeffe stand die erotische Lesart ihrer Bilder in einem Missverhältnis, womöglich war sie auch einfach nicht der Rede wert. „Es ist mir gelungen, Sie zu überreden, sich die Zeit zu nehmen anzuschauen, was ich gesehen habe, und als Sie sich die Zeit nahmen, meine Blume wirklich wahrzunehmen, haben Sie all Ihre eigenen Vorstelllungen von Blumen auf meine Blume übertragen, und Sie schreiben über meine Blume, als ob ich dächte und sähe, was Sie von dieser Blume denken und was Sie daran erkennen“, so O‘Keeffe 1918 in einem Ausstellungskatalog.
Die von Theodora Vischer kuratierte Ausstellung zeigt ein anderes Werk. O’Keeffe war eine genaue Beobachterin des Sichtbaren. In den 1920er Jahren, 1924 heiratete das Paar, teilt sich ihr Leben in Aufenthalte in New York und am Lake George, wo die Familie Stieglitz ein Sommerhaus besaß. Mitte der 1920er Jahre entstehen Bilder, die die Phänomenologie einer Pflanze auf die Wolkenkratzer New Yorks übertragen. Und da schälen sich Türme wie Stempel aus den Blütenblättern der Straßenschluchten. Zeitgleich malt sie eine kleinformatige Arbeit wie „Clam and Mussel“, bei der eine kleinere Miesmuschel in einer größeren Muschel liegt, es sind sichtlich die Wölbungen und Einbuchtungen, die die Malerin hier interessieren. Und tatsächlich tritt das Urbane zunehmend zurück zugunsten von Bildern, die sich mit der Landschaft New Mexikos auseinandersetzen, die ihr mehr und mehr zum Lebensmittelpunkt wird. Für O’Keeffe, die von allen ihren Wohnorten loswanderte, wird sie zum Ausgangspunkt für Entdeckungen. Entsprechend ist die Schau in Riehen auch nach Orten und nicht chronologisch organisiert. Erst als ihr Mann tot ist, begibt sie sich in ihren letzten beiden Lebensjahrzehnten auf ausgedehnte Reisen. Auch nach Europa, dessen Bedeutung für die moderne Malerei sie sich sehr bewusst war.
Dass man sich der amerikanischen Landschaft anders nähern muss, hatte bereits die Edward Hopper-Schau in der Fondation gezeigt. Die Pariser Impressionisten mögen mit dem Zug in die Normandie gefahren sein, um in Étretat ihre Leinwand aufzustellen. Der Weite der USA näherten sich Hopper und O’Keeffe mit dem Auto. O’Keeffe machte dafür eigens den Führerschein und baute ihr Auto so um, dass es ihren Bedürfnissen in der Unwirtlichkeit der kargen Landschaft entsprach. Anders als Hopper, der oft eine Art Landnahme festhält; so durchziehen Güterbahnlinien, Straßen und ein Netz von Tankstellen die Weite, ist die Landschaft bei O’Keeffe ist mineralisch und geologisch, malerisch und skulptural. Die traditionellen, an das Klima angepassten Gebäude, die sie in den späten 1920er Jahren malt, wirken wie Felsformationen oder könnten in ein paar Jahren wieder zu Stein werden. Und die Faltungen der „Black Mesa Landscape, New Mexico“ setzen das Zusammenspiel von Faltung und Wölbung fort, das man von ihren Blumenbildern kennt, nicht minder farbenprächtig. Der Abstraktionsgrad ist hoch, kaum anders lassen sich die Kräfte begreifen, die diese Natur hervorgebracht hat, mitunter wird es wie in „Pelvis with the Distance“ surreal, wenn sich ein ausgeblichener Hüftknochen in den Vordergrund drängt, durch den man in den Himmel schaut. Oder wenn die Blüten eines Weihnachtskaktus im Blau des Himmels zu schweben scheinen, der sich über einem Gebirge erhebt, dem ein riesiger Tierschädel vorgelagert ist.
Georgia O’Keeffe, die 1986 mit 98 Jahren starb, lebte lang genug, um differenziertere Rezeptionen ihres Werkes zu erleben. Doch jetzt könnte sie im Zuge eines veränderten Umweltbewusstseins, das auch zu einer Wiederentdeckung von amerikanischen Nature-Writing-Autoren wie John Muir und Edward Abbey führt, als eine Malerin des Raumes verstanden werden, die sich in der Weite der Landschaft gefunden hat.

Georgia O’Keeffe. Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen. Täglich von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr. Bis 22. Mai. Weitere Infos: www.fondationbeyeler.ch

Bildquellen

  • Georgia O’Keeffe: „Series I, No. 8“, 1919, Öl auf Leinwand, 51 x 41 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Schenkung der Georgia O‘Keeffe Foundation: © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
  • Georgia O’Keeffe: „Orientalische Mohnblumen (Oriental Poppies)“, 1927, Öl auf Leinwand, 76,7 x 102,1 cm, Sammlung des Frederick R. Weisman Art Museum at the University of Minnesota, Minneapolis, Ankauf, 1937: © Georgia O’Keeffe Museum / 2021, ProLitteris, Zurich